Alles muss raus: Wolfram (v.r.) und Guttau (v.l.) schreien sich die Freude über das Tor zum 2:0 ins Gesicht. © Wagner/IMAGO
Hat seinen Strafraum unter Kontrolle: René Vollath und die Löwen-Defensive um Jesper Verlaat (2.v.r.) sind maßgeblich daran beteiligt, dass 1860 den ersten Saisonsieg feiern darf. © Leifer/IMAGO
Ingolstadt – Knapp 73 Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem Trainingsgelände des TSV 1860 München und dem Audi-Sportpark. Den kollektiven Jubelschrei aus tausenden Löwenkehlen um kurz vor 16 Uhr in Ingolstadt konnten die Daheimgebliebenen in München-Giesing wohl dennoch hören. Grund: Erstmals in dieser Drittligasaison konnten die Sechzger etwas Zählbares mitnehmen, entführten beim 2:1-Sieg alle drei Punkte vom FCI.
Sechs Minuten waren es an diesem Samstagnachmittag, in denen die Löwen dieses oberbayerische Duell – kein Derby aus Fansicht – auf ihre Seite ziehen konnten. In der 58. Minute hatten alle FCI-Fans im Stadion den Torschrei bereits auf den Lippen, die Löwenanhänger blickten mit Entsetzen in den Strafraum der Sechzger. Dort kam nämlich David Kopacz völlig freistehend zum Schuss. Glücklicherweise aus 1860-Sicht brachte der Mittelfeldspieler tatsächlich das Kunststück fertig, den Ball aus wenigen Metern über den verwaisten Kasten zu jagen.
Sechs Zeigerumdrehungen später sorgte 1860 auf der anderen Seite für die Vorentscheidung. Der nach seiner Einwechslung bärenstarke Julian Guttau trieb den Ball durchs Mittelfeld, bediente Maximilian Wolfram auf der linken Seite, der im Zentrum wieder Guttau fand – das 0:2. Ekstatischer Jubel in weiß und blau, aus dem die Erleichterung nach den verkorksten Vorwochen mitklang. Vorbereiter Wolfram war es auch, der bereits früh nach fünf Minuten vom linken Strafraumeck per Traumtor für die frühe Löwenführung sorgte.
Wie viele seiner Mitspieler auch war Wolfram in den ersten Partien eher durch glücklose Auftritte als durch torgefährliche Aktionen aufgefallen. Löwencoach Argirios Giannikis schenkte dem 27-Jährigen dennoch das Vertrauen und brachte ihn zum vierten Mal nacheinander von Beginn an. Wolfram lieferte und zeigte sich nach dem Schlusspfiff entsprechend erleichtert: „Von uns allen fällt eine riesengroße Last ab. Wir haben viel gelitten heute und gezeigt, dass wir eine Einheit sind. Die drei Punkte waren enorm wichtig, so muss es weitergehen.“
Doch nicht nur offensiv zeigte sich der Löwe im Vergleich zum schwachen Auftritt beim 1:3 gegen Köln deutlich verbessert. Die Viererkette um Kapitän Jesper Verlaat legte enorme Leidenschaft an den Tag, verteidigte die zahlreichen Flanken der Schanzer beinahe ausnahmslos weg. Kamen die Schanzer doch mal zum Abschluss, war der souverän agierende René Vollath zur Stelle. Mit der weißen Weste wurde es für den Keeper aber auch im vierten Saisonspiel nichts. Pascal Testroet verkürzte per Foulelfmeter wenige Minuten vor dem Ende auf 1:2. Ein Gegentor, das nicht hätte zählen dürfen. In der Entstehung des Strafstoßes – Trikotzupfer von Raphael Schifferl an Testroet – stand der Gefoulte zuvor im Abseits. Den VAR gibt es in Liga drei bekanntlich jedoch nicht und so musste Sechzig noch einige Minuten zittern, ehe der Erfolg unter Dach und Fach war.
Zweifelsohne waren die spielerischen Mängel bei den Sechzgern auch in Ingolstadt unübersehbar. Allerdings muss man den Hut davor ziehen, wie 1860 bei Temperaturen um die 30 Grad den Schanzern – selbst ernannter Aufstiegsanwärter – Paroli bot. „Nach drei Niederlagen, geht es einfach viel über Mentalität. Heute waren wir leidensfähig, heute haben wir als Mannschaft viel gelitten, sind viel gerannt“, sah auch Verlaat den Einsatzwillen der Löwen als Schlüssel zum Sieg.
Ein Sieg, der auch 1860-Coach Giannikis so richtig gutgetan haben dürfte. Bei einer weiteren Niederlage wäre es wohl eng für den 44-Jährigen geworden. Die Löwen zeigten sich in Ingolstadt jedoch nicht als Mannschaft, die der Trainer nicht mehr erreicht. Druckabfall also beim Deutsch-Griechen? „Überhaupt nicht. Es geht nicht um mich. Ich freue mich für die Mannschaft.“ Die wiederum feierte den ersten Saisonsieg ausgiebig in der Kabine, laute Schlagermusik dröhnte aus den Boxen.
Momentum genießen, Sinne schärfen. Nach einem Erfolg ist beim Löwen logischerweise längst nicht alles in Ordnung. 1860 steht nach den Resultaten vom Samstag nach wie vor auf einem Abstiegsplatz in der 3. Liga. Den Flow mitzunehmen, das gestaltete sich nicht so leicht. Zunächst steht eine Länderspielpause vor der Türe, ehe am 14. September der Tabellendritte Dynamo Dresden nach München-Giesing kommt.
Schon morgen jedoch steht im bayerischen Landespokal das Achtelfinale bei Bayernligist FC Memmingen (19 Uhr) auf dem Programm. Bei einer überraschenden Niederlage könnte das zarte Pflänzchen vom Samstag direkt wieder zertreten werden, weiß auch Verlaat: „Jetzt müssen wir am Dienstag direkt den nächsten Schritt machen, um gut in die Länderspielpause zu kommen.“
MARCO BLANCO UCLES