ZUM TAGE

Warum wir Müller jetzt schon vermissen

von Redaktion

Bayerns neuer Rekordmann

Einmal musste in den vergangenen 16 Jahren jeder durch die Zeit des Zitterns, der es mit dem FC Bayern hält. Als Niko Kovac es gewagt hatte, Thomas Müller zum Notnagel zu degradieren, gab es die Wochen, in denen der heutige Rekordmann in Reihen des Rekordmeisters sich tatsächlich mit einem Abgang beschäftigte. 2019 war das, knapp fünf Jahre her, und man mag sich kaum ausmalen, was passiert wäre, hätten die Verantwortlichen damals nicht Kovac, sondern Müller geopfert. Oberflächlich betrachtet stünde der am Sonntag verdrängte Sepp Maier nach wie vor an der Spitze der ewigen Statistik, außerdem hätte es ein paar 100 gute Sprüche weniger gegeben. Aber die Personalie Müller ist keine, die man mal schnell abhandelt. Denn sie betrifft die DNA dieses Clubs im 21. Jahrhundert.

Es sind an der Säbener Straße schon viele große Karrieren zu Ende gegangen, manche freiwillig (Kahn, Lahm), manche unfreiwillig (Hoeneß, Maier), manche wurden woanders fortgesetzt (Beckenbauer, Gerd Müller, Rummenigge, Matthäus, Schweinsteiger). Sie alle haben ihren Platz sicher in der Geschichte, die wie kaum eine Zweite im Weltfußball geprägt ist von tief verankerten Werte und großen Persönlichkeiten. Es hat auch in unruhigen Zeiten stets Konstanten gegeben, die das so plump klingende „Mia san mia“ verkörpert haben. Allen voran die Obersten, in persona von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Aber auch auf dem Platz, wo diese Rolle seit mehr als einem Jahrzehnt Müller zukommt.

Der Junge aus Pähl ist so viel mehr als ein Raumdeuter mit undefinierbarer Technik. Thomas Müller vereint Fähigkeiten als Babysitter und Führungsmann, Motivator und Ermahner, Lautsprecher und Ruhestifter, Urbayer und Integrationsbeauftragter. Dabei hat der FC Bayern seinen Weg zur Unnachahmlichkeit genauso geprägt wie er den Weg, den der Verein eingeschlagen hat. Müller war schon ein Unikat, als Louis van Gaal ihm einst das Vertrauen schenkte und sich allen Kritikern entgegenstellte. Zum „Mister FC Bayern“ aber ist er unter den zehn Trainern geworden, die ihn danach im Kader hatten. Nicht alle wussten von Anfang an, was sie mit ihm anfangen sollten. Alle aber wussten, dass sie eine Verwendung für ihn finden werden. Denn egal wie viele Stars links und rechts platziert wurden: Müller blieb das wichtigste Puzzleteil.

Keine Frage, der Mann kann einem auf die Nerven gehen – jeder Mitspieler ist froh, wenn das „Radio Müller“ mal Pause hat. Und trotzdem war am Tag seines 710. Spiels auch Wehmut dabei. Die Zeit, in der der Gegenentwurf zur aufgeblasenen Branche seine Spuren auf dem Platz hinterlassen darf, neigt sich dem Ende. Immerhin aber kann man sich (anders als 2019) darauf einstellen – und hoffen, dass die Rückkehr in anderer Funktion schnell geht. Auch Kovac weiß inzwischen: Beim FC Bayern geht‘s nicht ohne Thomas Müller. Hanna.Raif@ovb.net

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