Herzogenaurach – Für einen kurzen Moment versetzte sich Joshua Kimmich noch mal in seine Kindheit. Der neue Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, der zuvor alle Fragen auf der Pressekonferenz am Dienstag in der abgeklärten Manier eines Spielführers beantwortete, wurde im „Halftime“ in Herzogenaurach gefragt, was ihm die Binde bedeute. „Als kleines Kind schreibt man das anderen ins Freundebuch, dass man davon träumt, Nationalspieler zu werden. Das ist aber unendlich weit weg“, antwortete Kimmich mit einem Lächeln und fügte an, selbst kaum davon geträumt zu haben.
Sich diesen Traum seit Montag auch offiziell erfüllt zu haben, sei für ihn „etwas ganz Besonderes – Nationalspieler und jetzt auch Kapitän zu sein“. Wie er seine neue Aufgabe definiere? „Es war wichtig, dass wir es geschafft haben, die Leute wieder ein bisschen zu bewegen und zu begeistern. Das wollen wir weiter tun“, so der 29-Jährige. „Jeder hat Bock darauf. Diese Mannschaft kann schnell wachsen.“
Wie schnell es schließlich im Fußball geht, erlebte Kimmich am eigenen Leib. Nach seinem Freundesbuch-Traum und den ersten fußballerischen Schritten in Bösingen wechselte der damals 12-Jährige zum VfB Stuttgart, spielte dort in der Jugend zusammen mit Timo Werner und Serge Gnabry. Schon damals habe er zu den Profis um Antonio Rüdiger „aufgeschaut“, erklärte er: „Da war er Profi und ich noch Jugendspieler und jeder ein großes Vorbild.“
„Meine Generation hat nichts mehr zu verschenken“
Für Kimmich ging es weiter zur zweiten Mannschaft von RB Leipzig, aus der er sich schnell in die erste hervorspielte und im August 2014 in einer für ihn entscheidenden Partie auftrat: Mit Leipzig ging es am zweiten Spieltag der zweiten Bundesliga gegen 1860 München. In der Allianz Arena und vor den Augen von Pep Guardiola und Michael Reschke überzeugte Kimmich beim 3:0-Sieg derart, dass Guardiola ihn anschließend zum FC Bayern holte und zu einer tragenden Säule des Vereins aufbaute. „Er ist einer der besten Innenverteidiger der Welt und kann überall spielen“, sagte der Trainerstar später über seinen Schützling.
Mit seiner Unterstützung entwickelte sich Kimmich zum Stammspieler beim Rekordmeister, in der Nationalmannschaft – und ist schließlich als Kapitän dort angekommen, wo er schon als Kind hinwollte. Wie er nun seine neue Rolle sieht? „Das soll keine One-Man-Show sein. Wir haben ein starkes Trio mit Kai Havertz und Antonio Rüdiger. Wir brauchen viele Jungs, die Verantwortung übernehmen“, erklärte Kimmich, der außerdem ein erfolgreiches Auftreten gegen Ungarn und die Niederlande forderte.
„Ergebnisse redet man sich in der Nations League unwichtig, wenn man nicht erfolgreich war. Wenn man die Spanier fragt, ist denen das schon wichtig“, so der alte und neue Rechtsverteidiger. „Von außen wird der Wettbewerb immer unwichtig gesehen. Aber es kann keiner mehr sagen, dass er einen Titel für Deutschland gewonnen hat. Meine Generation hat nichts mehr zu verschenken.“
Für seinen Einstand hat sich Käpt‘n Kimmich dagegen noch nichts überlegt und hofft auf Rat seiner Vorgänger: „Ich muss mal nachfragen. Ich hoffe, nicht singen“, erklärte er und schob schnell noch hinterher: „Da zahle ich lieber ein Abendessen.“
V. TSCHIRPKE, M. BONKE