ZUM TAGE

Zverev bleibt doch noch Zeit

von Redaktion

Grand-Slam-Sehnsucht

Ein Mädchen aus Moskau. Es begann mit fünf Jahren Tennis zu spielen, war talentiert, sehr sogar, und wurde deswegen vom legendären US-Tennistrainer Nick Bollettieri in seine Akademie aufgenommen, in der vor ihr Andre Agassi zu einem Ausnahmespieler gereift war. So auch das Mädchen. Es wurde jugendlich, gewann Turniere und wurde die Nummer eins der Juniorinnenweltrangliste.

Die Tenniswelt jubilierte über sie. Die Erwartungen waren groß, als sie 1997, mit 16 Jahren, auf dem heiligen Rasen von Wimbledon debütierte. Sie gewann die erste Runde, die zweite, die dritte – auf Anhieb spielte sie sich ins Halbfinale. „Wunderkind“. Sie wurde gefeiert als eine, die das Spiel beherrschte, wie kaum eine andere. Ihr Name, den kennen heute noch alle, die sich mit Tennis befassen, nur eben nicht wegen ihrer Begabung, sondern weil sie das, worauf es im Tennis ankommt, die Grand-Slam-Titel, immer verfehlte. Auch wegen Verletzungen, aber das erzählen nur wenige, die ihre Geschichte erzählen. Häufiger heißt es: Anna Kournikova – die unvollendete. Anna Kournikova – die, die niemals gewinnt. Sogar die Kartenkombination Ass-König im Poker wird heute noch vielerorts mit ihrem Namen bedacht und mit dem unschönen Satz kommentiert: „Sieht gut aus, gewinnt nie“.

Der Beste seit Becker, aber reicht das?

All das, es ist unfair, na klar, aber das Spiel mit der Reputation funktioniert eben so. Sie wird nur nach Titeln bemessen – und das dämmert allmählich auch Alexander Zverev, obwohl er erst 27 Jahre alt ist. Angesichts der vielen höherbetagten Grand-Slam-Titel von Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic könnte man da doch denken, dass Zverev mindestens noch sieben, vielleicht acht Jahre hat, in denen die Titelchance lebendig ist. Doch Vergleiche mit diesen drei verbieten sich. Diese drei hatten – bei größter sportlicher Ehrfurcht vor Zverev – er ist fraglos der beste Deutsche seit Boris Becker – ein anderes Niveau. Und noch was, es gibt eine Statistik, die nicht gerade für Zuversicht sorgen wird beim Deutschen: In den vergangenen 25 Jahren holten nur Stan Wawrinka und Goran Ivanisevic ihren ersten Grand-Slam-Titel in einem höheren Alter als Zverev aktuell ist.

Andererseits kam diese Statistik genau in der Hochphase der großen Drei zustande. Grand-Slam-Titel waren für alle anderen wie vernagelt zu dieser Zeit, die nun aber vorbei ist. Und so gut die neuen Konkurrenten von Jannik Sinner zu Carlos Alcaraz sind – es ist realistischer, vielleicht sogar einfacher geworden, einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Zverev hat also doch noch ein bisschen Zeit.

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