Starkes neues Mittelfeld: Andrich (li.) und Groß sollten beide verteidigen und trotzdem das Spiel lenken. © Imago
Düsseldorf – Eine Grätsche reichte, um zu verstehen, wie sich Julian Nagelsmann die neue DFB-Elf vorstellt. Nachdem der Ungar Bendeguz Bolla beim Stand von 1:0 in der 57. Minute frei vor Marc-André ter Stegen auftauchte, streckte Robert Andrich im entscheidenden Moment das Bein aus und verhinderte den möglichen Ausgleich. Nach Abpfiff sagte Andrich, er habe „instinktiv einen langen Schritt gemacht, das war sehr, sehr wichtig, sonst hätten wir den Salat gehabt mit dem 1:1“ und ergänzte: „So eine Aktion tut der ganzen Mannschaft gut.“
Auch Joshua Kimmich lobte den puren Willen Andrichs, der das Gegentor vereitelte: „Am Ende des Tages ist eine Torverhinderung genauso wichtig wie ein Tor, auch wenn es nicht immer so wahrgenommen wird“, sagte der Kapitän und betonte: „Die Aktion war durchaus spielentscheidend.“ Aus der anschließenden Ecke folgte nämlich der Konter zum 2:0 durch Jamal Musiala – vor allem zeigte die Szene aber, wie verschieden die Aufgabenprofile im neuen System von Nagelsmann sind.
Schließlich lief Andrich auf der neu formierten Doppelsechs an der Seite von Pascal Groß auf und übernahm – anders als zuvor neben Toni Kroos – ebenfalls einen großen Teil des Spielaufbaus. Gegen die tiefstehenden Ungarn sollten sich beide Sechser abwechselnd fallen lassen und Bälle verteilen, in anderen Situationen dagegen zusammen das Gegenpressing starten. So entstand im Mittelfeld eine Flexibilität, die sich von der klaren Rollenverteilung der EM abhebt. Kimmich lobte das variable Duo: „Sie gefielen mir gut, haben immer wieder die Positionen getauscht und sind abwechselnd hinten reingekippt.“ Groß erklärte die neue Aufteilung so: „Es hat sich gut angefühlt, wir haben gut zusammengespielt. Einer von uns sollte abkippen und der andere vor der Abwehr bleiben.“ Auch im Sturm setzte Nagelsmann auf Flexibilität statt starrem Positionsspiel, um die gegnerische Abwehr auseinanderzuziehen.
So wirbeln Musiala und Wirtz ohnehin schon länger dort, wo es ihnen gefällt. Die Lücke des Gündogan-Rücktritts schloss der Bundestrainer nun aber durch noch mehr Variabilität. Kai Havertz agierte zunächst hinter Stoßstürmer Niclas Füllkrug auf der Zehn. Immer wieder wechselten sich die Angreifer mit ihren Läufen in die Tiefe ab oder ließen sich auf den Flügel fallen, das Angriffsspiel wurde so noch schwieriger auszurechnen.
Füllkrug schwärmte anschließend: „Es war toll, dass so viele unterschiedliche Spieler getroffen haben.“ Kimmich ergänzte: „Wir leben von der Flexibilität. Von den Jungs da vorne kann nahezu jeder jede Position spielen. Das macht uns unberechenbarer. Wenn das so funktioniert wie heute, ist das sehr schön.“
Der Bundestrainer zeigte sich ebenfalls zufrieden – obwohl für ihn nicht alles perfekt lief: „Wir kommen oft vor das Tor. Der einzige Kritikpunkt ist, dass wir noch einige Chancen ausgelassen haben“, sagte Nagelsmann. „Es ist aber außergewöhnlich, wie schnell die Mannschaft Dinge adaptiert. Die Chemie dieser Truppe ist eine ganz andere, wenn man das mit der von vor einem Jahr vergleicht.“
V. TSCHIRPKE