Bayern-Pech im Symbolbild: Gnabry traf erst den Pfosten und dann die Latte. Ein 2:1 wäre verdient gewesen. © IMAGO
München – Der lauteste Fangesang war am Samstag in der Allianz Arena zu hören, als das Ergebnis schon feststand. Der Abpfiff des 1:1 (1:1) zwischen dem Tabellenführer FC Bayern und dem Double-Sieger Bayer Leverkusen war gerade ertönt, da gab die Südkurve noch Mal alles. Das „Deutscher Meister wird nur der FCB“ schallte derart durch das Fröttmaninger Rund, dass tatsächlich die Ohren klingelten. Ja, nach der ersten bestandenen Reifeprüfung der Saison schwang in der zwölf Jahre lang doch etwas abgelutscht daherkommenden Zeile viel Genugtuung mit. Dieser Moment war ein Statement aus den roten Kehlen: Tausenden auf der Tribüne – und rund 20 der hüpfenden Spieler auf dem Rasen.
„Ich glaube, dass wir ein Ausrufezeichen gesetzt haben in der Art und Weise, wie wir das Spiel gespielt haben“, sagte Max Eberl, als man sein Wort wieder verstehen konnte. Zwar hatte es trotz all der positiven Eindrücke wie „Dominanz, Selbstverständnis, Positionierung, Aggressivität“, die Kapitän Manuel Neuer wie 75 000 andere gewonnen hatten, zum vierten Mal hintereinander nicht für einen Sieg gegen die Aufmüpfigen aus Leverkusen gereicht. Trotzdem hörte man an diesem zweiten Wiesn-Samstag von niemandem auch nur einen Funken Kritik. CEO Jan-Christian Dreesen sagte beim Gang aus der Kabine, was man auch spürte: „Alle sind zufrieden.“ Ein Satz, den man so oder so ähnlich in der vergangenen Saison selten bis gar nicht gehört hat.
Die erste Standortbestimmung der noch jungen Spielzeit hat nur verstärkt, was die dominanten Vorwochen mit sechs Siegen und 29 Toren bereits angedeutet hatte: Wenig nur noch erinnert von den Bayern unter Vincent Kompany an die Bayern unter Thomas Tuchel. „Die Energie, der Glaube – das kann man fühlen“, sagte Xabi Alonso. Manuel Neuer bestätigte: „Wir haben das Vertrauen wieder zurück. Wir haben an unserer Art und Weise festgehalten und es durchgezogen. Das ist schon ein bisschen was anderes als zuvor.“ Weil Kompany jedem Einzelnen „Sicherheit“ gebe, sehe man „eine Verbindung auf dem Platz“, führte der 38-Jährige aus: „Wir sind geschlossen. Wir spielen und wirken als Team.“ Nur die Floskel „mia san mia“ fehlte in seinen Ausführungen. Aber es muss ja auch noch Luft nach oben geben.
In den 95 Minuten zuvor gab es diese eigentlich nur vor dem Tor. Zwar hatte Aleksandar Pavlovic (39.) die Führung durch Robert Andrich (31.) per Traumschuss schnell ausgeglichen, ein zweiter Treffer aber wollte nicht gelingen, obwohl „wir in jeder Sekunde gezeigt haben, dass wir gewinnen wollen“ (Eberl). Alle Statistiken wiesen die Bayern als bessere Mannschaft aus, „wie Leverkusen gespielt hat, lag an unserem Spiel“, sagte Sportdirektor Christoph Freund. Trotzdem hatten die absolut genialen Momente gefehlt.
Der bisher so treffsichere Harry Kane blieb ohne Torabschluss, Jamal Musiala kam im Duell mit Florian Wirtz genauso wenig entscheidend durch wie Michael Olise von außen – und Serge Gnabry war Aluminium im Weg. So könne man sich zwar „ergebnistechnisch als Verlierer fühlen“, sagte Freund. Das „bisschen Pech“ (Dreesen) sollte im ersten sieglosen Spiel unter Kompany aber nicht vom „ganz großen Schritt“ ablenken, den Eberl drei Tage vor dem Abflug zum ersten Champions-League-Auswärtsspiel am Mittwoch (21 Uhr) bei Aston Villa gesehen hat. Der Rekordmeister schaut aktuell nicht auf Gegner, Schiedsrichter oder andere Umstände, sondern: nur auf sich selbst.
Auch in Leverkusen ist nun angekommen, dass die Bayern ihr Titelgen zurück haben. Und die Mischung aus breiter Brust und Demut lässt darauf schließen, dass aus vergangenen Fehlern gelernt wurde. „Es ist vermessen zu sagen, jetzt gewinnen wir alles“, sagte Eberl. Aber es sei angebracht, zu sagen: „Wir wollen jedes Spiel gewinnen.“ Die simple Rechnung: „Wenn du das tust, wirst du am Ende oben sein.“ Die Südkurve hat den Song für den Fall der Fälle schon drauf.
HANNA RAIF, VINZENT TSCHIRPKE