„Mein Arzt sagte: Das überlebt man nicht …“

von Redaktion

Nathalie Pohl hat die sieben Meerengen durchschwommen

Über ihre Abenteuer hat Pohl auch ein Buch geschrieben.

Der Nordkanal war Pohls Endgegner.

Am Ende ihrer Kräfte: Pohls Körpertemperatur betrug im Ziel nur noch 30 Grad. © Instagram

Viel Wasser und sonst nichts: Um die sieben Meerengen zu durchschwimmen, hat Nathalie Pohl über zehn Jahre gebraucht. © Marc Le Cornu

11:05:24 Stunden, 41 Kilometer und mehr als 40 000 Armzüge. Nathalie Pohl hat den Nordkanal von Gobbins (Nordirland) nach Portpatrick (Schottland) bezwungen und ist damit die erste deutsche Frau, die im Rahmen der Ocean`s Seven sieben Meerengen durchschwommen hat. Im Interview mit unserer Zeitung spricht die 29-Jährige über die zehnjährige Reise, das Limit des eigenen Körpers und magische Momente im Meer.

Nathalie Pohl, Glückwunsch zu den Ocean´s Seven! Ist das schon im Kopf angekommen, dass die zehn Jahre lange Reise ihr erfolgreiches Ende gefunden hat?

Es fühlt sich noch verrückt an, dass es jetzt vorbei ist. So langsam habe ich die letzte Etappe im Nordkanal realisiert. Alle fragen immer: Was kommt jetzt, was kommt jetzt? Ich glaube, es ist wichtig, erstmal zu verarbeiten, was man da geschafft hat. All das Training über die Jahre, im Schnitt vier Stunden am Tag. Das hat die letzten zehn Jahre mein Leben komplett bestimmt. Schule, Uni, Freunde, alles war so ein bisschen zweitrangig, weil der Fokus komplett auf den Ocean´s Seven lag.

Mit dem Nordkanal gab es einen harten Endgegner…

Es war nicht als letzte Etappe geplant. Aber Umstände wie Corona vor Hawaii oder der Bootsunfall in Japan haben die Pläne immer durcheinandergebracht. Jetzt bin ich aber froh, dass der Nordkanal als letztes dran war. Vom Schwimmen her war es der härteste Kanal, emotional war Neuseeland am schwierigsten, weil ich dreimal neu anreisen musste. Aber diese Kälte im Nordkanal, das war schon krass. Vor der Etappe habe ich eine Tablette geschluckt, die die Körperkerntemperatur anzeigen kann. Als ich aus dem Wasser gekommen bin, waren es knapp über 30 Grad. Der Arzt, der mit vor Ort war, hat gesagt, er hat noch nie einen Menschen gesehen, der das überlebt hat.

Der Körper war also schon längst am Limit und der Kopf hat übernommen?

Mein Kopf hat mehr gekonnt als mein Körper. Am Ende sah das, was ich da gemacht habe, auch nicht mehr nach schwimmen aus. In meinem Kopf war aber: Ich möchte in meinem Leben bitte nie wieder hierher (lacht). Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich an den Felsen geschwommen bin, weiß ich alles. Aber, das ist richtig surreal, ich kann mich nicht mehr dran erinnern, wie ich zum Boot zurückgeschwommen bin. Ich wurde aus dem Wasser rausgetragen und erinnere mich dann wieder daran, wie ich mit Sauerstoffmaske und dick eingekuschelt neben dem Team lag. Das ist ein komisches Gefühl, wenn man nicht mehr weiß, was passiert ist. Das absolute Limit wurde erreicht. Der Nordkanal ist so extrem, da muss alles zusammenpassen. Sonst hat man keine Chance. Es bleibt immer ein gefährlicher Sport. Ich bin mir bewusst, dass immer was passieren kann. Alles, was ich kontrollieren kann, will ich auch kontrollieren. Wenn ich nicht zu 100 Prozent fit gewesen wäre, wäre ich im Nordkanal auch nicht gestartet. Diese akribische Vorbereitung gibt mir ein gutes Gefühl.

Ein gutes Gefühl geben sicherlich auch der Bruder und Vater, die auf dem Boot immer mit dabei waren.

Es gibt wenig Sportarten, in denen das Team so wichtig ist. Wenn ich keine Entscheidung mehr treffen kann oder nicht mehr weiß, wo ich bin, muss das Team eingreifen. Ich bin meinem Vater und meinem Bruder unendlich denkbar, dass sie sich die Zeit nehmen und 15 Stunden auf dem Boot sitzen. Mein Bruder saß in der Nacht die ganze Zeit vorne und hat mit der Taschenlampe immer doppelt geleuchtet, wenn eine riesige Qualle zu sehen war, damit ich ausweichen kann. Das ganze Team stand im T-Shirt auf dem Boot. Damit es mir nicht noch kälter wird, wenn ich sehe, wie sie in Jacken und Schals eingehüllt sind. Das sind so kleine Kniffe. Danach waren wir alle krank (lacht).

Sie sind auch durch die Dunkelheit geschwommen, was macht das mit einem?

Ich habe gehofft, dass ich im Nordkanal vom Nachtschwimmen verschont bleibe. Aber ich bin am allerletzten Tag von meinem Zeitfenster geschwommen, das Wetter war die ganze Woche fürchterlich. Diese komplette Dunkelheit, diese extreme Kälte, das ist so intensiv. Du kannst dich nicht intensiver mit dir und dem eigenen Körper auseinandersetzen. Man ist in seiner eigenen Welt. Aber genau das liebe ich auch an dem Sport, dass ich mit mir alleine bin. Ich bin gerne von mir selbst abhängig.

Welche Spuren haben die Ocean´s Seven in Ihrem Leben hinterlassen?

Ich hätte mich nicht so entwickelt, wenn ich diesen Sport nicht gemacht hätte. Da draußen alleine zu schwimmen, wird immer meine Leidenschaft bleiben, nirgendwo sonst kann ich solche Gedanken fassen. Die Delfine in Neuseeland, der Sonnenuntergang auf Hawaii, es gab so viele magische Momente. Adam Walker habe ich vor zehn Jahren kennengelernt. Er sagt immer, er ist die Ocean´s Seven zweimal geschwommen, einmal für sich selbst und einmal mit mir. Da sind Freundschaften fürs Leben entstanden.


INTERVIEW:

NICO-MARIUS SCHMITZ

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