Hatte sichtlich Freude: Tribünengast Prinz William. © IMAGO
Fixpunkt in der Offensive: Musiala kam erst zur zweiten Hälfte. Vorher kamen die Bayern schwer durch. © IMAGO
Nicht immer zufrieden: Kompany hatte beim Auftritt seiner „Jungs“ in Birmingham an der Seitenlinie viel zu tun. © IMAGO
Birmingham – Jan-Christian Dreesen richtete den Blick schnell aufs Positive. „Vincent, wir sind uns sicher, dass du uns mit deiner Art zu spielen, deiner Ansprache und deinem Miteinander mit den Spielern, heute nur ausnahmsweise ein bisschen Kummer bereitet hast“, sagte der CEO des FC Bayern in seiner Bankettrede im Birminghamer „Belfry Hotel“ in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Seine Ansprache richtete sich dabei direkt an Trainer Vincent Kompany, der am Kummer – einer 0:1 (0:0)-Niederlage im Champions-League-Gruppenspiel gegen Aston Villa – mit seiner riskanten Taktik zwar nicht alleine schuld, aber doch gehörig mitverantwortlich war.
Vor der gesamten Entourage des Rekordmeisters, den Profis, Betreuern und sogar der U 19, die die Reise nach England für ihr Youth-League-Spiel ebenfalls mit angetreten ist, nahm der Vorstandsvorsitzende seinen Coach aber demonstrativ in Schutz. Dessen hohes Pressingsystem, das den Gegner zu frühen Ballverlusten führen und eigene Torchancen ermöglichen soll, wurde vom Premier-League-Club Aston Villa in den 90 Minuten zuvor einige Male ausgehebelt. Immer wieder kamen die Villans zu Kontermöglichkeiten. Der entscheidende Treffer zum 0:1 durch den Kolumbianer Jhon Duran fiel ebenfalls durch einen langen Ball, der die hoch aufgerückte Abwehrkette des FCB und den weit aus dem Tor gestürmten Manuel Neuer überrumpelte.
„Es wird uns auch wieder Freude bereiten“, lautete Dreesens aufmunterndes Fazit zum System Kompany. Die Frage, die sich nach der ersten Pleite unter dem neuen Trainer ergab, ist nun jedoch: Führt diese Freude, die zweifellos für Offensivpower und unterhaltsame Partien sorgt, in den entscheidenden Spielen der Saison auch zum Erfolg? Und was muss sich dafür ändern?
Zu viel Risiko
Kompany lässt sein Team über das gesamte Feld Mann gegen Mann verteidigen. Gegen Bundesligateams wie Holstein Kiel und Werder Bremen geht diese Taktik auf, weil der Rekordmeister allein aufgrund der höheren individuellen Qualität so elf Eins-gegen-Eins-Duelle provoziert, die er ihm Normalfall elfmal gewinnt. Gegen besser besetzte Mannschaften und vor allem in der Königsklasse geht er so jedoch extrem ins Risiko. Eine Unaufmerksamkeit und ein individueller Fehler reichen, um den Gegner zu gefährlichen Möglichkeiten kommen zu lassen. Beim Gegentor in England verteidigte zum Beispiel Dayot Upamecano ganz allein gegen Duran – und Neuer patzte mit seinem verunglückten Rauskommen. „Das ist unser Spiel. Ich weiß nicht, ob der Trainer nach dem Tor was anderes fordert, aber grundsätzlich ist das das Spiel, was er sehen will“, sagte der Keeper über die Szene.
Kein Plan B gegen Topteams
Um in Spitzenspielen weniger Risiko einzugehen, muss Kompany einen Plan B entwickeln, der gegen Topteams für mehr Stabilität sorgt. Schon als Trainer in Burnley wurde ihm vorgeworfen, zu lange an seinem Ballbesitz-System festgehalten und sich nicht an den Abstiegskampf angepasst zu haben. Als Trainer des FC Bayern muss er sich logischerweise weniger an den Gegnern ausrichten – trotzdem sollte die braucht es mehr Absicherung gegen individuell stark besetzte Mannschaften. „Wir haben es bisher gut gemacht“, sagte Kompany über die Defensive seines Teams. Mit Eintracht Frankfurt wartet am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) aber der nächste Gegner, der die Münchner mit zwei starken Stürmern stressen will.
Abhängigkeit von Musiala
Gegen Aston Villa zeigte sich außerdem, wie abhängig der Rekordmeister von Jamal Musiala ist. Zur Belastungssteuerung wurde der Superstar in der ersten Halbzeit geschont, in der Folge ging fast nichts mehr durchs Zentrum. Jeder Angriff wurde über die Flügelspieler Serge Gnabry und Kingsley Coman eingeleitet, Michael Olise war in der Angriffsmitte seiner eigenen Stärken beraubt. „Von Weltklassespielern ist man immer abhängig, weil sie besser als andere sind“, sagte Max Eberl. „Wenn du herausragende Spieler hast, kannst du sie nicht eins zu eins ersetzen.“ Falls Musiala sich im Laufe der Saison jedoch verletzt, täte der FC Bayern gut daran, Alternativen für das Offensivspiel zu entwickeln.
Kane hängt in der Luft
Wie schon gegen Leverkusen hing Harry Kane auch auf der Insel weitestgehend in der Luft (siehe Artikel nächste Seite). Um den Stürmer mehr einzubinden, müssen auch die Flügelspieler mehr variieren: Olise auf der rechten und Serge Gnabry auf der linken Seite ziehen beide gerne in die Mitte, um mit ihrem starken Fuß abzuschließen. So wird Kane wenig bedient und muss auf Halbfeldflanken von Joshua Kimmich warten, die für den Stürmer aufgrund der Flugrichtung aber schwieriger zu verwerten sind. „Es ist generell immer schwierig, sich gegen einen tief stehenden Gegner Chancen zu erarbeiten“, beschrieb Kimmich die Offensivbemühungen gegen Aston Villa. Wenn Kane mehr in die Kombinationen eingebunden wird, statt steil geschickt zu werden, kann er dessen eigene Stärken besser einbringen und für mehr Gefahr sorgen.
Konzentration
Die Profis müssen auch in englischen Wochen das Maximum abrufen. Laut Eberl haben gegen Aston Villa „ein paar Prozent“ gefehlt. Um auf internationalem Niveau zu bestehen, muss die Kompany-Elf aber immer ihr gesamtes Potenzial abrufen. Die Partie gegen Frankfurt bietet am Sonntag die nächste Gelegenheit.
VINZENT TSCHIRPKE