Heiße Duell auf der Bahn: Siggi Renz (vorne) und Rad-Legende Eddy Merckx. © IMAGO
Die Gogo-Girls durften nicht fehlen. © IMAGO
Seriensieger: Bruno Risi (li.) und Franco Marvulli. © IMAGO
Auch Luca Toni wurde einmal die Ehre des „Anschießens“ zuteil. © IMAGO
Party pur im weiten Rund: Die Olympiahalle erlebte während des Sechstagerennens oft eine turbulente Zeit. © IMAGO
Von München nach Niederbayern: Ex-Rennleiter Siggi Renz. © Ernstberger
Bettmannsäge – Es kribbelt immer noch – gerade in diesen Tagen im Oktober, in denen die Vorbereitungen aufs legendäre Münchner Sechstagerennen in die ganz heiße Phase gingen. Fast drei Jahrzehnte lang, von 1980 bis 2009, war Sigi Renz, vor Kurzem 86 Jahre alt geworden, Rennleiter der Traditionsveranstaltung in der Olympiahalle. Bis vor 15 Jahren dann die letzten Jagden auf dem 200-Meter-Holzoval stattfanden. Publikumsliebling Bruno Risi, der neunfache Champion, und sein Schweizer Partner Franco Marvulli waren 2009 die letzten Sieger, ehe im Januar 2010 das Ende der „inoffiziellen Weltmeisterschaft“ der Sechstagefahrer verkündet wurde – nach 38 Jahren: Zu teuer, Zuschauerschwund, nicht mehr zeitgemäß. „Es war eine wunderschöne Zeit. Schade, dass sie so sang- und klanglos zu Ende gegangen ist“, sagt Renz, einst einer der erfolgreichsten deutschen Radrennfahrer.
Der gebürtige Münchner, der nach der Karriere ein Fahrradgeschäft im mittlerweile zugunsten des SAP Gardens abgerissenen, alten Radstadions im Olympiapark betrieb, hat München vor viereinhalb Jahren verlassen – und lebt jetzt seit Jahren mit Ehefrau Roswitha, seinem Sohn Alexander und Jack-Russell-Terrier Yerri im niederbayerischen Bettmannsäge, einem 150-Einwohner-Stadtteil von Regen im Bayerischen Wald. „Im Jagdrevier von Franz Josef Strauß“, erzählt er. Und in einem Haus, in dem der ehemalige bayerische Ministerpräsident (†1988) beim Vorbesitzer, einem Oldtimer-Sammler, ein und aus ging. „Die Nachbarn können sich noch gut an die Besuche von Strauß erinnern. Er war alle paar Wochen hier, saß in meinem Stüberl im Keller“, erzählt Renz.
Bayerwald-Idylle statt Großstadt – wie kam’s? Der ehemalige Rad-Profi erklärt: „Meine Oma kam aus Falkenstein im Bayerischen Wald und ich war als Kind oft hier, habe die Gegend geliebt. Vor zehn Jahren haben wir dann mal Urlaub in Bodenmais, das ich als Rennleiter der Bayern-Rundfahrt kannte, gemacht. Danach habe ich beschlossen, mir hier was zu kaufen. Ich bin ein Natur- und Waldmensch – schöner als hier geht’s nicht.“
Kurzer Rückblick auf die Karriere: Renz war von 1960 bis 1976 Profi, in den 60er-Jahren zweimal Europameister sowie mehrmals Deutscher Meister auf der Straße und auf der Bahn. Er fuhr 1961 die Tour de France und feierte seine größten Erfolge auf dem Holzoval: Er gewann 23 Sechstagerennen, auch das erste im Olympia-Jahr 1972 in der Münchner Olympiahalle an der Seite von Wolfgang Schulze.
Als Strauß Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender war, feierte der Rad-Profi seine ersten Erfolge. Olympia 1960 in Rom verpasste er mit dem deutschen Vierer im Ausscheidungsrennen West gegen Ost gegen die DDR. „Wir haben erst 20 Jahre später erfahren, dass wir da von den DDR-Zeitnehmern beschissen wurden, weil sie falsch gedrückt haben“, verrät er jetzt erstmals. 1963 wurde Renz Deutscher Straßenmeister, er belegte die WM-Ränge 7 und 9 – damals noch alles ohne Helm. Aber auf der Bahn fühlte er sich immer am wohlsten. Wenn er so richtig in die Pedale trat, war die Konkurrenz gleich ganz weit weg. „Es war ein Wahnsinn. Ich durfte da mit und gegen Fahrer antreten, die ich in der Zeitung bewundert und denen ich in der Münchner Messehalle, wo die ersten Rennen nach dem Krieg stattfanden, noch die Daumen gedrückt hatte.“ Die ersten Jahre: Da mussten die Fahrer bis weit über die Leistungsgrenze gehen. „Der Start war am Abend um sieben Uhr, Ende morgens um fünf. Am Anfang waren nur drei Stunden Schlaf erlaubt. Wenn du dann geweckt wurdest, wärst du dem Betreuer am liebsten an die Gurgel gegangen“, erzählt der mehrfache Deutsche Meister.
Er bekam es in 158 Sechstagerennen mit der Creme de la Creme zu tun. Wie mit Radsport-„Gott“ Eddy Merckx (79), fünffacher Tour-Sieger und erfolgreichster Fahrer der Geschichte (gewann 1977 in München), der ein guter Freund wurde: „Ich habe öfters bei ihm in Belgien übernachtet, viele Rennen mit ihm bestritten“ – und gewonnen. Er fuhr mit dem legendären Rudi Altig (†2016), Weltmeister auf der Straße und auf der Bahn, und dem belgischen Olympiasieger und Weltmeister Patrick Sercu (†2019), mit 88 Sixdays-Siegen der beste aller Zeiten auf der Bahn. Immer an seiner Seite war sein Münchner Jugendfreund Egon Ebenbeck, ebenfalls ein erfolgreicher Radsportler, deutscher Meister und Mitbegründer der Bayern-Rundfahrt. Der zog im Juli 2020 sogar zu ihm nach Bettmannsäge, verstarb dort aber nur zehn Tage später mit 81 Jahren.
Sein Rennrad hat Renz, der eigentlich Autorennfahrer werden wollte und einst „als Ersatz“ aufs Rad umstieg, mittlerweile eingemottet – auf zwei Rädern ist er aber noch immer „im Wald“ unterwegs: „Mit dem Hund und dem Elektroradl meiner Frau.“ Und Anfang November, der Zeit, als er jahrelang die Münchner Sixdays mit Unterstützung eines Promis (u.a. Franz Beckenbauer, Jan Ullrich, Maria Höfl-Riesch) anschoss, kribbelt’s beim Neu-Bayerwaldler wieder besonders.
THOMAS ERNSTBERGER