Gut drauf: Tuchel bei seiner Vorstellung gestern im Wembley-Stadion. © Adrian Dennis/AFP
London/München – Die Stimmung in der Vorstandsetage des FC Bayern war schon am Dienstagnachmittag prächtig. Hier ein Scherz, da ein lockerer Spruch: Im Rahmen der Dienstwagen-Übergabe in Ingolstadt sah man unter den hohen Herren Jan-Christian Dreesen, Michael Diederich und Max Eberl viele Lacher. Und am Tag danach ging es ähnlich fröhlich weiter. Die Details zur Vertragsauflösung mit Thomas Tuchel nämlich wurden nach Informationen unserer Zeitung gestern Vormittag festgezurrt. Mit dem Ergebnis, dass der 51-Jährige seinen monatlichen Lohn bis zum Amtsbeginn als Trainer der englischen Nationalmannschaft am 1. Januar weiter bekommt – aber dann endgültig, final und unwiderruflich von der Gehaltsliste gestrichen werden kann.
Hinter vorgehaltener Hand ergänzt man: Endlich. Denn die Millionensumme, die sich seit dem Ende von Tuchels Trainertätigkeit im Juni bis Dezember angesammelt haben wird, ist doch beachtlich. Knapp zehn Mio. Euro im Jahr soll der Nachfolger von Julian Nagelsmann verdient haben, die Hälfte davon erhielt er, ohne einen Finger an der Säbener Straße gekrümmt zu haben. In München sah man ihn seitdem häufig im Lieblingscafé im noblen Bogenhausen sitzen, gerne im PSG- oder Bayern-Dress. Das dürfte ab sofort nicht mehr vorkommen – die neue Uniform kommt von der FA.
Eine Ablöse musste der Verband nicht zahlen, die Bayern aber – aller Meinungsverschiedenheiten mit Tuchels Management zum Trotz – auch keine Abfindung. Tuchel bei Bayern – eine „Katastrophe“, wie Uli Hoeneß laut „Sport Bild“ auf einem Führungskräfte-Seminar letzte Woche sagte – ist ab sofort Geschichte, in England will er ein neues Kapitel prägen. „Ich bin sehr stolz darauf, dass mir die Ehre zuteil wird, die englische Nationalmannschaft anzuführen. Ich fühle mich seit langem mit dem Fußball in diesem Land verbunden, und er hat mir schon einige unglaubliche Momente beschert“, sagte er in der offiziellen Mitteilung und schwärmte von einem „großen Privileg“. Wie in München will der Engländer Anthony Barry als Tuchels Assistent dabei helfen, die „60 Jahre des Schmerzes“ seit dem WM-Titel 1966 vergessen zu lassen.
18 Monate lang läuft Tuchels Vertrag („Dann sehen wir weiter“), der bereits am 8. Oktober unterzeichnet wurde. Verbandspräsident Mark Bullingham zeigte sich „begeistert, dass wir mit Thomas Tuchel einen der besten Trainer der Welt gewinnen“ konnten. Tuchel reagierte bei seiner Vorstellung im Wembley-Stadion mit Humor auf Kritiker, die lieber einen Engländer an der Seitenlinie gesehen hätte. „Es tut mir leid, ich habe nur einen deutschen Pass“, sagte der 51-Jährige: „Hoffentlich kann ich sie überzeugen, dass ich stolz bin, der Trainer Englands zu sein und alles für diesen Job gebe.“ Um „unseren Traum in Amerika wahr werden zu lassen“.
Eine ganze Nation sehnt sich danach. Eine Nation übrigens, in der sich Tuchel besser verstanden fühlt als in Deutschland. In den kommenden beiden Nations-League-Spieles in Griechenland und gegen Irland Mitte November muss es allerdings ohne ihn gehen, Interimscoach Lee Carsley steht noch zweimal an der Seitenlinie. Und auf Tuchels Kontoauszug steht noch zweimal „FC Bayern München“.
H. RAIF, P. KESSLER