ZUM TAGE

Eine Chance – für alle

von Redaktion

Tuchel als englischer Nationaltrainer

Thomas Tuchel hat Wort gehalten. Als der ehemalige Bayern-Trainer vergangene Woche in München von einem Schuljungen auf der Straße nach einem möglichen neuen Arbeitgeber gefragt wurde, vertröstete er den kleinen Fan schmunzelnd auf „nächste Woche“. Die Verhandlungen mit dem englischen Verband FA waren also schon weit vorangeschritten, als Interimscoach Lee Carsley an der Seitenlinie der Nations-League-Partien gegen Griechenland und Finnland in der Verantwortung stand. Der, der es nur kurz richten sollte, macht ab Januar Platz für den, dem man in England alles zutraut. Also auch, 60 Jahre des Schmerzes mit dem WM-Titel in den USA vergessen zu lassen. Zurecht?!

Eine Umfrage zu diesem Thema würde an verschiedenen Standorten grundverschiedene Antworten hervorbringen. In Mainz würden alte Weggefährten aus Nostalgie-Gründen anders antworten als in Dortmund. In Paris gäbe es ein ähnlich klares „Nein“ wie wohl aus München – wo Uli Hoeneß erst vergangene Woche vor mehr als 100 Führungskräften über die schlechte Stimmung gesprochen hat, die in dem Jahr unter Tuchel auf und neben dem Platz herrschte. Nur in England zeichnet man ein anderes Bild vom durchaus streitbaren Trainer. Was der 51-Jährige zwischen 2021 und 2022 beim FC Chelsea bewirkt hat, hat mächtig Eindruck hinterlassen. Auf der Insel schätzt man Tuchel – und Tuchel fühlt sich verstanden. Immerhin hat es schon schlechtere Vorzeichen für eine Zusammenarbeit gegeben.

Die Mission, die Tuchel als erster Deutscher antritt, ist dennoch alles andere als leicht. Denn wie kritisch die britischen Fans mit Blick auf ihre geliebten „Three Lions“ sind, hat bis zuletzt Gareth Southgate spüren müssen. Dass der wenig attraktive Fußball unter Tuchels Vor-Vorgänger immer wieder zu Siegen und sogar zuletzt ins EM-Finale geführt hat, war das einzig richtig gute Argument für den langjährigen Amtsinhaber. Und man dürfte in England wissen, dass auch Tuchel nicht unbedingt für begeisternden Hurra-Fußball steht.

Die Vorschusslorbeeren, mit denen er startet, sind da vielleicht von Vorteil. Und dass Tuchel den Schritt weg vom Clubfußball geht und sich auf das Abenteuer Nationalmannschaft einlässt, kann eine Chance sein. Im täglichen Business ist die eigene Art, die der Fußballwahnsinnige an den Tag legt, oft ein Reibungspunkt gewesen, die Zusammenarbeit mit Verantwortlichen und vor allem Spielern läuft nun auf einer anderen Basis. Ganze Fußballnationen wie Frankreich und Deutschland schauen garantiert interessiert dabei zu, ob Trainer wie FA-Team ein Neustart gelingt. Und ein Schuljunge in München sowieso.

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