Spezialität Unterzahlkonter: Tobias Rieder beim 3:0 gegen die Nürnberg Ice Tigers. © IMAGO
München – Und auf einmal war Tobias Rieder auf und davon. Hatte keinen Gegenspieler an den Hacken und nur noch den Nürnberger Torhüter Leon Hungerecker vor sich. Den trickste er im vollen Lauf aus und vollendete zum 3:0 für den EHC Red Bull München. So war das am Sonntag: ein typisches Rieder-Tor, denn der 31-Jährige erzielte es in Unterzahl. „Dafür hat er einen Scharfsinn, eine spezielle Intelligenz. Er weiß, was die anderen Teams tun werden“, so pries ihn Bill Peters, sein Trainer bei den Calgary Flames in der Saison 2019/20. In der NHL war das Rieders Spezialität: das Penalty-Killing. Es geht um das Verhindern von Toren, wenn man einer oder zwei Mann weniger ist – die Krönung ist, wenn man dann selbst kontert und trifft. Wie Rieder gegen Nürnberg.
Es war sein sechster Saison- und DEL-Treffer. Kurioserweise hat der gebürtige Landshuter erst jetzt in der Deutschen Eishockey-Profiliga debütiert, denn mit 17 hatte er sich aufgemacht nach Nordamerika. Die vergangenen drei Jahre spielte er in Schweden, und als München ihn nun verpflichtete, war die Erwartung gar nicht mal die, einen klassischen Torjäger zu bekommen. Sondern einen Allrounder, der eher die Stabilität des Teams garantiert, als dass er für die ekstatischen Momente sorgen würde.
Dabei hat Tobi Rieder durchaus Scorer-Fähigkeiten. Mit 14, 15 schoss er in der Schüler-Bundesliga für Landshut in 34 Spielen 113 Tore, bei den Kitchener Rangers in der kanadischen Juniorenliga war er in zwei von drei Jahren der beste Punktesammler, später kam er auch in der NHL bei den Arizona Coyotes – trotz seiner Rolle als Penalty-Killer – zu Toren, 16 waren sein bester Saisonwert. Dennoch verlor sich in der öffentlichen Wahrnehmung diese Seite von Tobias Rieder. Er wechselte 2018 zu den Edmonton Oilers, einer Mannschaft, die sich über ihre Offensivwucht und die Punktemaschinen Leon Draisaitl, Connor McDavid und Ryan Nugent-Hopkins definiert(e). Rieder hoffte, dass da auch für ihn ein Ertrag abfallen würde. Die Realität indes wird auf immer und ewig in der Statistik festgehalten: Spiele – 67. Schüsse – 92. Tore – kein einziges. Danach musste Rieder sich für weitere Jobs über Probeanstellungen empfehlen.
In Schweden war Rieder ein erfolgreicher und geschätzter Spieler, mit den Växjö Lakers wurde er 2023 Meister. Aber Eishockeyspiele in Schweden arten oft aus zu Taktikschach, zu Defensivschlachten. Man erspielt sich dort keine rauschenden Scoring-Einträge.
Deshalb überraschen die sechs Tore und vier Assists aus zehn Spielen, mit denen Rieder und der EHC ins kommende Wochenende (am Freitag in Schwenningen, am Sonntag zuhause gegen Ingolstadt, zwei Tage danach kommt Mannheim) gehen. „Anscheinend“, sagt Trainer Max Kaltenhauser, „ist Tobi doch ein Vollstrecker.“ Doch das sei nicht das Wichtigste, sondern: „Er ist ein überragender Teamkamerad, der sich nicht so benimmt, als wäre er der Superstar“ – obwohl sein Lebenslauf den der Mitspieler überbiete. Kapitän Patrick Hager führt das noch weiter aus: „Jeder weiß, was Tobi für eine Vergangenheit hat, doch er ist auf dem Boden geblieben. Er hat jeden Tag die Arbeitsschuhe an.“
GÜNTER KLEIN