Den hauseigenen Energydrink brauchen die Münchner Spieler gar nicht, um sich auf Eishockey einzustimmen. © Red Bull/City-Press
München – Die Kameras fangen die Szene immer ein, kurz bevor das Spiel losgeht. Auf der Bank des EHC Red Bull München hält sich Trainer Max Kaltenhauser ein Tütchen an die Nase, deren Flügel bewegen sich kurz, und den gesamten Körper scheint etwas zu durchströmen. Was Kaltenhauser verwendet? Riechsalz.
Man kennt das aus der hohen Literatur. Goethe, Faust I, von ganzen Generationen als Schulpflichtlektüre gelesen. „Frau Nachbarin, Euer Fläschchen“, bittet Gretchen, um einer sich anbahnenden Ohnmacht zu entgehen, um das intensiv riechende Gemisch aus Ammoniaksalz und ätherischen Ölen. Im Eishockey heißt es dann „Herr Nachbar, Euer Fläschchen“ oder „Buddy, gimme some smelling salt“. Ja, es ist üblich, sich damit hochzupuschen. „Die Spieler nehmen das“, sagt Max Kaltenhauser. Er muss schmunzeln: „Bei mir ist das zu einem Ritual geworden. Als ich aus Regensburg gegangen bin, haben die Physios mit ein paar Packerl Riechsalz mitgegeben.“ Es helfe, wacher zu machen.
Bei den beiden Auswärtsspielen, die Kaltenhauser verantwortete, der vor gut zwei Wochen Toni Söderholm ablöste, hätte sich die Mannschaft eine Runde Riechsalz in der Schlussphase gönnen sollen. In Bremerhaven entglitt dem EHC ein 4:1-Vorsprung, in der letzten Minute kassierte er den Ausgleich und gewann erst im Penaltyschießen. Am Freitag in Schwenningen konnten die Münchner ein 3:0 nicht halten, die Wild Wings landeten ohne Torhüter einen Doppelschlag zum 3:3, der folgende Shoot-out ging an sie. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir das Spiel verloren haben“, sagte Kaltenhauser zwei Tage später nach dem 5:1-Erfolg gegen den ERC Ingolstadt.
Der Coach sieht sein Team trotz des Schwenningen-Negativerlebnisses im Aufwind. „Wir haben am Backcheck gearbeitet und gut verteidigt.“ Erst ein Tor habe man in seiner Amtszeit im Spiel fünf gegen fünf kassiert, das 0:1 gegen Ingolstadt fiel noch in Gleichzahl, bei vier gegen vier. Nach Schwenningen fühlte sich Kaltenhauser „als Psychologe gefragt“.
So langsam werden individuelle Aufwärtsbewegungen spürbar. Etwa bei Les Lancaster. Der amerikanische Verteidiger kam vorige Saison von Ilves Tampere, wo er in eine Krise geraten war und er sein Spiel mit der Organisation des Aufbaus und einem hohen offensiven Beitrag nicht mehr durchbringen konnte. In München wollte er wieder zu seinen Qualitäten finden – was ihm in den verbleibenden Wochen des Frühjahrs 2024 nicht mehr gelang. Im zwölften Match der neuen Saison gelang ihm nun endlich ein Tor, das 1:1 gegen Ingolstadt. „Das hat eine Last von mir genommen“, sagte er hinterher, „ich fühle mich wohl mit meinem Spiel. Ich kriege die Chancen, das ist ein gutes Zeichen.“
Schon heute geht es in München weiter. Gegen Mannheim. Für Les Lancaster ist es das erste Spiel gegen den Club, dessen „großen Namen“ er schon von Finnland aus wahrnahm. Zur Einstimmung bietet sich Riechsalz an.
GÜNTER KLEIN