Bayern schlagen? „Die Power ist da“

von Redaktion

Ex-Bayer Kirchhoff über den Mainzer Glauben, Glücksgefühle und Salzstreuer

„Wir wollen Spieler auf höchstmögliches Niveau bringen“: Kirchhoff über die Mainzer Philosophie. Vorbild ist Jonny Burkhardt – der Nationalspieler fehlt allerdings gegen Bayern. © IMAGO

Mainz – Wenn Mainz 05 an diesem Mittwoch (20.45 Uhr) den FC Bayern zur zweiten Pokalrunde empfängt, wird Jan Kirchhoff auf der Tribüne mitfiebern. Eine besondere Beziehung hat der U19-Trainer der 05er schließlich zu beiden Vereinen. Sechs Jahre spielte Jan Kirchhoff in Mainz, ehe er sich 2013 dem FC Bayern anschloss – in München aber nicht richtig glücklich wurde. Im Interview blickt er ein wenig zurück, aber lieber nach vorne. Denn dass Kirchhoff, 34, ein Trainertalent ist, weiß man nicht nur in Mainz. Da bahnt sich eine zweite Karriere an.

Herr Kirchhoff, Sie kennen beide Perspektiven: Mit Bayern gegen „kleine“ Gegner, mit „kleinen“ Gegnern gegen Bayern. Also: wer freut sich mehr auf dieses Pokalspiel?

Für uns in Mainz ist das ein besonderes Spiel, wenn man so einen Gegner erwartet. Dazu mit der Möglichkeit, mit einem Sieg in die nächste Runde zu kommen. Deshalb hoffe ich, dass die Mainzer mehr Lust und Energie haben als die Bayern.

Ist Mainz denn mehr Barcelona – oder Bochum?

Ehrlicherweise eher Bochum – aber hoffentlich mit dem Barcelona-Ergebnis (lacht).

In der Analyse welches Spiels kann man mehr mitnehmen?

Es ist schon auffällig, dass die Bayern Probleme bekommen können, wenn es hinter die Kette geht. Die Spielweise unter Vincent Kompany hat viele Vorteile, aber eben auch den Nachteil, Mann gegen Mann auf letzter Linie zu spielen. Wir Mainzer haben hingegen eine große Stärke darin, auch Tiefe zu suchen. Da gab es in den letzten Wochen einige Positivbeispiele. Aber es wissen dennoch alle, dass die individuelle Qualität der Bayern überragend ist und es schwer wird, zu null zu spielen.

Die Bayern sind in den letzten vier Jahren drei Mal in der zweiten Runde ausgeschieden. Spielt da auch Angst mit?

Ich nehme die Bayern-Spieler gerade sehr selbstbewusst wahr, sie sind sehr von ihrem Stil überzeugt und gehen mutig in jedes Spiel. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass die dieses Thema von außen selber so wahrnehmen. Es wird versucht, Unruhe zu stiften, aber es fühlt sich sehr gefestigt an. Da wird eine Bayern-Mannschaft anreisen, die davon ausgeht, in Mainz zu gewinnen. Wir hingegen müssen vor allem eine gewisse Leidensfähigkeit beweisen, dazu Spielglück haben. Und wir brauchen in den Situationen, die sich ergeben, auch Mut, die Chance beim Schopfe zu ergreifen. Viele wird es nicht geben.

Der Mainzer Trainer Bo Henriksen sagt als Credo gerne: „Man muss groß träumen.“

Bo verkörpert Mut, Glauben an die eigene Stärke. Und er schafft es, seitdem er hier ist, nicht nur die Mannschaft, sondern den ganzen Verein mitzunehmen. Hier ist ein Glaube geweckt worden, jeden schlagen zu können. Das sind die perfekten Voraussetzungen für ein Pokalspiel gegen Bayern.

Wie er Unmögliches möglich macht, hat er mit dem Nicht-Abstieg in der Vorsaison bewiesen. Was für ein Geist weht seitdem durch Mainz?

Das hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Es herrscht hier ein sehr familiäres, wohlwollendes Gefühl, das darauf ausgerichtet ist, die Ressourcen maximal auszuschöpfen und nach vorne zu kommen. Und da hilft natürlich ein Cheftrainer, der diese Energie verkörpert, alle mitzieht, Lust auf mehr weckt. Die Power und das Zutrauen, große Teams ärgern zu können, sind da. Es gibt schlechtere Voraussetzungen.

Wie schwer wiegt der Ausfall von Jonny Burkhardt – wie wenn Bayern Harry Kane fehlt?

Ja. Es ist unser treffsicherster Stürmer, mit der herausragende Fußballer in der Truppe. Es tut weh, ihn nicht dabei zu haben. Auf der anderen Seite finde ich, dass es auffällig ist, wie viele andere Jungs in die Bresche springen und herausragende Spiele machen. Sano, Amiri, Nebel – um nur einige zu nennen. Das macht mir Hoffnung.

Wie stolz ist der Club auf einen Nationalspieler „made in Mainz“?

Enorm. Denn genau der Weg ist es ja, den wir uns beim NLZ auf die Fahnen schreiben. Wir wollen die Spieler auf das höchstmögliche Niveau bringen. Und es ist toll zu sehen, dass jemand, der die Jugendteams durchlaufen hat, sich ganz oben platziert. Unter Julian Nagelsmann hat sich etwas getan – es ist eine Tür offen, wenn man durch Leistung überzeugt. Jonny hat sich das absolut verdient.

Auch die U19-Jungs aus Ihrer Mannschaft werden genau hinsehen.

Die sehen vor allem den Weg nach oben. Allerdings ist es für sie der nächste Schritt, im Profitraining dabei zu sein, danach geht es weiter. Was aber klar ist: Junge Spieler brauchen das Gefühl, dass sie nicht nur groß träumen, sondern große Träume auch wahr werden können. Die Durchlässigkeit wird bei uns gelebt – das ist eine Stärke von uns.

Aktuell läuft es sehr gut, Ihre U19 steht auf Platz zwei. Setzt ein 5:0 Ihrer Mannschaft genauso viele Glücksgefühle frei wie einst als Spieler?

Es ist anders, aber mir macht es tatsächlich mehr Spaß, als selber zu spielen. Vom Ergebnisfokus können wir uns nicht freimachen, da bin ich ehrlich. Aber mir geht es vor allem darum, jeden Tag daran zu arbeiten, jeden Spieler mit individuellen Schritten und Lösungen besser zu machen. Die Ergebnisse kommen durch Entwicklung. Ich will der Entwickler sein.

Sie haben unter Thomas Tuchel in Mainz debütiert, in München unter Pep Guardiola gespielt. Wie viele Salz- und Pfefferstreuer verrücken Sie in Ihrer Freizeit?

Wenige (lacht). Glücklicherweise schaffe ich es, in meiner freien Zeit Abstand vom Fußball zu gewinnen. Dafür ist der Arbeitsalltag voll damit. Allerdings mit Magneten – und nicht Streuern. Ich liebe den Fußball, wir diskutieren ständig, ich habe hier in Mainz tolle Sparringspartner und bin auch selber in der Entwicklung, besser zu werden.

Wie viel Tuchel und wie viel Guardiola stecken dann im Trainer Jan Kirchhoff?

Ich will meine eigene Traineridentität entwickeln, aber die beiden haben mich schon stark geprägt. Was ich mache, wie ich Fußball sehe – da stammt viel von den beiden Toptrainern. Sie sind gute Vorbilder.

Ihre Trainerkarriere folgt einem klaren Plan, Schritt für Schritt nach oben. Was denken Sie beim Blick auf Vincent Kompany – bei dem alles im Schnelldurchlauf geht?

Ich bin beeindruckt! Dass er eine außergewöhnliche Persönlichkeit und Präsenz hat, sieht man sofort. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Es macht Spaß, seinen Fußball zu sehen. Wenn man bereit und gut genug ist, darf es doch auch schnell gehen. Aber ich fahre gerade ganz gut damit, keinen klaren Plan zu haben, sondern dem Flow zu folgen und zu schauen, wo es mich hinführt. Ich vertraue da sehr auf meinen Bauch.

Welchen Bayern-Spieler würde der Trainer Jan Kirchhoff gerne mal trainieren?

Alle! (lacht) Es ist doch unser aller Traum, mit den Spielern auf bestmöglichem Niveau zu arbeiten.

Ist München eigentlich immer noch Ihre Lieblingsstadt?

Ich bin sehr, sehr gerne in München, nach wie vor. Aber ich fühle das Gleiche für Mainz. Ich habe das eine ganze Weile unterschätzt – aber seitdem ich wieder hier bin, fühlt es sich an wie Heimat. Ich bin hier genau richtig aufgehoben.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie 2013 länger als ein halbes Jahr geblieben wären?

Das habe ich mich auch länger gefragt. Aber niemand kann es beantworten. Heute sage ich: Das ist vorbei – und es bringt ja auch nichts zurückzugucken und zu hadern.

Trotzdem haben Sie einen Tipp für alle, die erstmal auf der Bank sitzen in München.

Der Tipp an alle jungen Spieler ist etwas, das ich nicht hatte: Geduld! Deshalb habe ich nach einem halben Jahr die Entscheidung getroffen, nach Schalke zu gehen.


INTERVIEW: HANNA RAIF

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