IM BLICKPUNKT

So bastelt Julian am Schatten-Kader

von Redaktion

Auch wenn Julian Nagelsmann dieser Tage häufig mit einem Notizzettel auf dem Trainingsplatz auf dem DFB-Campus gesichtet wird, gilt der Bundestrainer als Technikfreak – und diese Affinität bekommt freilich auch der DFB zu spüren: Während der Vorbereitung auf die vergangene Heim-Europameisterschaft ließ der Bundestrainer beispielsweise seine geliebte Video-Leinwand auf dem Trainingsgelände in Blankenhain aufstellen, Tablet-Computer vor der Trainerbank gehören mittlerweile ohnehin zur Standard-Ausstattung im Profi-Fußball. Nun hat der Bundestrainer verraten, dass auch bei der regelmäßigen Kader-Nominierung auf Hightech-Methoden vertraut wird – und zwar mit einer Art verbandsinternen Vorratsdatenspeicherung.

Der 37-Jährige war aufgrund der vergangenen Verletzungsmiseren häufig gezwungen, seinen Kader kurzfristig anzupassen – und überraschte mit der einen oder anderen Nominierung. Nun hat der Bundestrainer verraten, dass er und sein Team an einem Schatten-Kader basteln, um künftig noch effizienter zu nominieren. „Man grenzt den Pool ein, das ist ja logisch. Man scoutet jetzt nicht jeden Spieler nochmal durch. Man hat natürlich eine gewisse Idee, welche Spieler in Frage kommen: Das sind bei uns 30 bis 35. Wir auch haben einen Schatten-Kader entwickelt und sind gerade dabei, den noch ausführlicher zu gestalten. Einfach für den Fall, dass Spieler kurzfristig absagen – was im Spätherbst ja häufiger der Fall ist“, sagt Nagelsmann und erklärt: „Es ist ein Schatten-Kader, der vielleicht nicht immer den Spieler vorsieht, der auf dem Papier logisch erscheint.“

Stattdessen sei die Nominierung auch datenbasiert begründet: „Sodass wir klar wissen: Als Rechtsverteidiger haben wir folgendes Profil, wollen folgendes sehen – und das ist in der Aktualität gerade die Benchmark im Vergleich zu einem Spieler, den wir ursprünglich eingeladen hätten.“ Diesen Daten-Pool will das Coaching-Team in Zukunft automatisch erweitern. Der Stuttgarter Jamie Leweling ist ein Paradebeispiel für diesen Prozess: Im Vorfeld der Oktober-Länderspiele sagte dem Nationaltrainer Jamal Musiala verletzungsbedingt ab und Leweling – der zu diesem Zeitpunkt beim VfB eine hervorragende Statistik vorweisen konnte – rückte in das Aufgebot.

Laut Nagelsmann habe man generell als Trainer ein gewisses Faible für den einen oder anderen Spieler, „der ist dann auch in dem Pool drinnen. Es gibt aber auch Momente, wo Spieler vielleicht eine sehr gute Phase haben, den du nicht sofort berücksichtigst, weil du an einer bestimmten Gruppe festhalten und die Gruppe einspielen lassen willst. Aber wenn ein Spieler ausfällt, kann es sein, dass ein überraschender Name dabei ist – weil derjenige gerade sehr gut im Run ist“. Interessant: Mit Claudius Müller ist eigens ein Datenanalyst Teil des Betreuerstabs der A-Nationalmannschaft. Der Datenspezialist ist beim Software-Entwicklungsunternehmen Catapult angestellt und hat im August 2021 die Leitung für das Projekt mit dem DFB übernommen. Müller ist auch manchmal auf dem Trainingsplatz zu sehen, wenn er die GPS-Geräte auf dem Rasen positioniert.
M. BONKE, P. KESSLER

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