Derbysiege mit 1860 bleiben ein Traum: Die Ex-Hachinger René Vollath, Patrick Hobsch und Raphael Schifferl (r.). © Sampics
Schwarzer Tag: René Vollath beim ersten seiner folgenschweren Fehlgriffe. © Sampics / S. Matzke
München – „Re-né Vol-lath!“ sangen die Fans in der Kurve. Das Pokalduell im Grünwalder Stadion war längst entschieden, und im Normalfall ist es ein gutes Zeichen für einen Spieler, wenn er vom Anhang mit Sprechchören gefeiert wird. Vollaths Problem am Samstag: Der Beifall kam von der falschen Seite, denn es waren die Haching-Fans in der Ostkurve, die im Ex-Torwart den Matchwinner sahen. Die 1860-Fans dagegen feierten schon früh einen Torhüter, der 90 Minuten auf der Reservebank saß: „Marco Hiller!“
Mit 3:1 (1:0) zog die SpVgg Unterhaching ins Halbfinale des Totopokals ein – weil ihr „Ex“ unerklärliche Aussetzer hatte. Und weil bei 1860 kein Feldspieler an die jüngsten Leistungen in der Liga anknüpfen konnte. Speziell vor der Pause war es ein unansehnliches Spiel, in dem Haching geschickt die Räume versperrte, 1860 weder Tempo noch Ideen entwickelte, und bis auf ein paar giftige Zweikämpfe (Kozuki/Schwabl, Deniz/Adu) und Rudelbildungen alles ereignislos vor sich hinplätscherte. Bis Vollaths Horrortag seinen Lauf nahm.
Vor dem 0:1 ließ er einen harmlosen Geis-Freistoß durch die fangbereiten Handschuhe flutschen (31.). Zwar verhinderte er kurz danach das sichere 0:2 (gegen Kügel), zeigte aber später, dass sein Nervenkostüm doch gelitten hatte. Bei Kügels nächster Chance, jetzt vor dem Haching-Block, brach er den Rettungsreflex ab und schaute zu, wie der Kopfball neben ihm einschlug (61.). Beim 0:3 schließlich, einem abgefälschten Schuss von Lamby (78.), sackte Vollath zu Boden wie ein getroffener Filmsoldat. Bitter: Kein Mitspieler kam, um ihn aufzurichten. Und bis auf Kapitän Jesper Verlaat, der spät zum 1:3 traf (90.+3), war auch nach dem Schlusspfiff kein Löwe bereit, tröstend auf den am Samstag einsamsten Menschen Giesings zuzugehen.
Grenzerfahrungen erleben, testen, ob man es aushalten kann, einem Fanliebling den Platz streitig zu machen – auch deswegen sei er von Haching zu 1860 gewechselt, hatte Vollath den Reportern erzählt, als er noch die Nummer eins in der Liga war. Er sei am stärksten, wenn die Fans pfeifen, tönte er – dieser Spruch, der zur Boulevard-Schlagzeile wurde, hatte es vor dem Liga-Derby (2:2) sogar in die Kabine seiner ehemaligen Mitspieler geschafft: als Motivations-Booster. Dass es aber was mit einem Menschen macht, wenn er von beiden Fanlagern mit Spott und Häme überzogen wird, wurde am Samstag auf bemitleidenswerte Weise deutlich. Zum Schluss haute Vollath sogar Abschläge ins Aus. Bezeichnend: Nach Spielende lief nur Manuel Stiefler zu ihm, sein Hachinger Spezl. Von den 1860-Kollegen kam zunächst Erwartbares. „Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen“ (Verlaat). Oder: „An René lag‘s nicht, dass wir verloren haben“ (Deniz). Menschlich groß tags drauf die offizielle Reaktion. Per Social-Media-Post stellte sich der Verein schützend vor seinen Spieler („mit vollem Herzen für 1860 engagiert“), kündigte eine kritische Überprüfung der Leistung an und schrieb: „Wir rufen alle Fans dazu auf, das Gleiche zu tun.“
Ungewohnt deftige Worte hatte am Samstag der Trainer gewählt. Ein „Sch… Gegentor“ sei das 0:1 gewesen, grantelte Argirios Giannikis: „Wir haben uns über das ganze Spiel hinweg nicht davon erholt.“ Fairerweise kritisierte er aber auch, dass sein Team insgesamt „zu behäbig“ gewesen sei. Haching habe „verdient gewonnen“.
Vollath hin oder her – unter dem Strich war es eines der Spiele, das die Fans stöhnen lässt: Typisch Sechzig! Fast alles hatte für 1860 gesprochen: die Formkurve in der Liga, Hachings Gruselserie (zehn Spiele ohne Sieg) und Auswärtskrise… In der Summe sprach genau das gegen 1860, denn wie 2023 war es fehlende Spannung, die den einfachsten Weg in den DFB-Pokal verbaute. Verlaat merkte an: „Eine Möglichkeit gibt es noch…“ Er meinte Platz vier (oder besser) in der Liga, führte den Gedanken aber nicht weiter aus. Erst mal müssen die Löwen wieder in die Spur kommen – am Samstag in Aachen (14 Uhr). Dann wieder mit Marco Hiller zwischen den Pfosten.
ULI KELLNER