„Es geht um intensive Freiheit“

von Redaktion

Freeride-Ass Nadine Wallner über Stürze und Hausaufgaben im Schnee

Zweimalige Weltmeisterin: Wallner feierte in der Sportart schnell Erfolge. © MKM/Christoph Johann

„Wir fahren da, wo eigentlich keine Menschen sind“, sagt Wallner. © MKM I Yannick Glatthard

In der Welt unterwegs, und am Arlberg ist Wallner zu Hause. © MKM I Christoph Johann

Nadine Wallner ist zweifache Freeride-Weltmeisterin. Mit ihren Brettern stürzt sie sich in Peru oder Alaska die Hänge hinunter. Oder auch in der Heimat am Arlberg, wie beim jüngsten Projekt: fünf Freeride-Abfahrten, 3000 Höhenmeter, 29 km – und das alles an einem Tag. Im Interview mit unserer Zeitung spricht die 35-Jährige über Freiheit, Stürze und Hausaufgaben.

Nadine Wallner, Sie sind am Arlberg aufgewachsen, Ihr Vater war Bergführer. Ihre Leidenschaft war also schon vorgezeichnet.

Die Berge waren immer ein zentraler Punkt in unserer Familie. Unser Vater, als ausgebildeter Ski- und Bergführer, hat mir und meinem Bruder im jungen Alter schon unheimlich viel Know-how vermittelt. Wir sind immer mehr in den Sport reingewachsen.

Warum haben Sie sich für Freeride und nicht für Ski Alpin entschieden?

Ich hatte als Kind einen Unfall, die Skistöcke haben sich in meine Seite gebohrt. Mit einem Milzriss musste ich eine Saison lang aussetzen. Danach hatte ich mit den Knien Probleme, ich habe zwei Saisons nur rumgemurkst. In Österreich ist das Feld sehr dicht bei den Skirennläufern, da kann eine Verletzung reichen, um weg vom Fenster zu sein. Ich habe einen anderen Zugang zum Skifahren gesucht, wollte andere Facetten kennenlernen.

Also Freeride, abseits von vorgegebenen Wegen, technisch herausfordernd, mit dem Anspruch, seine eigene Linie zu finden.

Das Freeriding hat mich sofort fasziniert. Und ich hatte ziemlich schnell Erfolg. 2013 und 2014 habe ich als jüngster Rookie zweimal hintereinander die World Tour gewonnen. Dann hatte ich wieder einen Unfall, der mich ziemlich lange ausgeknockt hat. Ein offener Schien- und Wadenbeinbruch in Alaska. Der Abtransport hat sechs Stunden lang gedauert, das war ein sehr dramatisches Erlebnis. Dieser Sturz ist in Gedanken danach noch lange mitgefahren, ich musste das alles erst verdauen. Mittlerweile spielt es aber keine Rolle mehr.

Was lockt Sie immer zur nächsten Abfahrt? Welche Sucht wird gestillt?

Es geht um intensive Freiheit, es ist ein schwereloses Gefühl, ein Schwebegefühl. Du bist im Moment, musst in den Flow-Status kommen. Du musst die Dinge laufen lassen, damit sie auch funktionieren. Es ist auch immer ein Wettbewerb mit sich selbst. Oft hast du nur einen Versuch und es muss klappen. Weil du weißt: Hier komme ich sonst nicht mehr hin. Wir fahren ja da, wo eigentlich keine Menschen sind. Wenn du oben stehst, schaust du noch mal auf die Punkte, die du dir zur Orientierung ausgesucht hast. Man muss das Gelände richtig lesen können. Während der Fahrt hast du keine Zeit mehr für große Planänderungen. Dann muss alles intuitiv funktionieren.

Gibt es Platz für Angst?

Angst kommt nicht auf. Wenn man in ein neues Gebiet kommt, muss man das Gebiet erst kennenlernen, mit Einheimischen reden, selbst Schneeprofile graben, in die Schneedecke reinschauen, die Wetter- und Windbedingungen kontrollieren. Das ist auch eine kleine Wissenschaft, eine analytische Arbeit. Wenn man diese Hausaufgaben erledigt, fühlt man sich auch gut vorbereitet. Und dann: Abfahrt (lacht).

Und wo ist es schöner, in Alaska oder Arlberg?

In Alaska sind die Lines sehr mächtig, da hast du großen Respekt. Das kann auch überwältigend sein. Wenn du dann zurück in die Alpen kommst, fragst du dich, wo sind denn hier die Berge? (lacht). Aber es hat beides seinen Reiz, ich liebe die Abwechslung.


INTERVIEW: NICO-M. SCHMITZ

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