„Sie sind perfekt“: Musiala und Wirtz. © IMAGO
Daumen hoch: Calmund glaubt an einen Leverkusener Sieg – die jüngste Bilanz macht Mut. © IMAGO/Kammerer
„Ich schaue entspannter zu, weil die Mannschaft richtig stark ist“: Calmund über den Double-Sieger. © IMAGO
München – Wer Bayer Leverkusen verstehen will, kommt an Reiner Calmund (76) nicht vorbei. Der langjährige Macher (1976-2004) brennt nach wie vor für den Verein – und blickt im Interview auf den Pokalkracher beim FC Bayern.
Herr Calmund, Leverkusen hat zuletzt 2019 in München gewonnen – warum gelingt es diesmal?
Sagen wir es also doch anders: von März 2023 bis jetzt hat Leverkusen kein Spiel verloren. Dazu braucht man neben der Qualität natürlich auch Glück.
Wie haben sich die Vorzeichen seit dem 1:1 in der Liga verändert?
Auch als absoluter Bayer 04 Fan muss ich eingestehen, dass Bayern München in Deutschland das Maß aller Dinge ist. Objektiv sagt der Transferwert des Kaders in Höhe von rund einer Milliarde Euro eine Menge aus. Leverkusens liegt bei rund 600 Millionen Euro, der von Leipzig und dem BVB bei rund einer halben Milliarde. Das alles aber muss natürlich in 90 Minuten nichts zu bedeuten haben. Und Bayer ist eindeutig stabiler als noch zu Beginn der Saison.
Simon Rolfes attestiert dem Team „ein anderes Selbstbewusstsein“ seit der letzten Länderspielpause – ist das das Ergebnis harter Arbeit?
Sie lassen sich nicht verrückt machen von Negativ-Erlebnissen. Jetzt macht sich ganz besonders die ruhige und besonnene Art von Xabi Alonso bezahlt. Er hat alles erlebt im Fußball und kann dementsprechend fast alles erklären und begründen. Die überaus unglückliche Heim-Pleite gegen RB und die 0:4-Niederlage in Liverpool haben dem Team nicht nachhaltig geschadet. Weil man die Ruhe bewahrt hat. Und siehe da: In den letzten Spielen sahen wir wieder ein Bayer-Team auf dem Niveau der vergangenen Saison, trotz vieler verletzter Spieler.
Man sagt ja gerne, es ist schwerer, oben zu bleiben, als hoch zu kommen. Ist das, was Leverkusen aktuell schafft daher der nächste Schritt, um nachhaltig eine Spitzenmannschaft zu sein?
Leverkusen hat sich neben dem einzigen Meistertitel im vergangenen Jahr den Namen „Vizekusen“ hart erarbeitet. Denn Bayer 04 gehörte im letzten Vierteljahrhundert mit vielen Spitzenplatzierungen und Teilnahmen am europäischen Wettbewerb zur Creme der Liga. Das ist sicherlich kein Micky-Maus-Verein.
Was wäre denn eine Saison ohne Titel für Leverkusen? Haben sich die Ansprüche verschoben?
Die Ansprüche sind nach dem Double in der Meisterschaft und dem DFB Pokal natürlich höher geworden, aber in der Vereinsführung gibt es keine Traumtänzer. Und wer sich ein wenig ernsthaft mit Fußball beschäftigt, der weiß auch, dass sich eine Saison wie die vergangene nicht so einfach wiederholen lässt. Aber: Bayer hat bisher nur ein Spiel verloren in der Liga. Ein paar Unentschieden zu viel gegen Clubs wie Bochum oder Kiel schmerzen. Aber den Anspruch, diese Gegner zu schlagen, hatten wir schon vor 30 Jahren.
Wie viel entscheiden die beiden Herren an der Seitenlinie mit ihrer Taktik – wie viel die Spieler auf dem Platz?
Gerade in einem Pokalspiel kannst du häufig die Taktik nach ein paar Minuten in die Tonne kloppen. Da kannst du noch so lange getüftelt haben, wenn dir hinten einer reinfällt, musst du Gas geben, sonst bist du draußen. Deshalb gilt: die Trainer sind wichtig, aber entscheiden tun es die Spieler.
Wie schauen Sie inzwischen Leverkusen-Spiele? Lebt es sich leichter und entspannter als Double-Sieger?
Ich war unglaublich glücklich über den Gewinn der Meisterschale und den DFB-Pokal. Ich bin Bayer 04 mit Fernando Carro an der Spitze total dankbar, dass sie mich in diesen Erfolg voll und ganz mit eingebunden haben. Und ja, ich schaue entspannter. Nicht wegen der Titel, sondern weil die Mannschaft richtig stark ist.
Schauen Sie diesmal vor allem entspannter zu, weil Harry Kane den Bayern fehlen wird?
Harry Kane ist nicht nur ein absoluter Spitzenspieler, er ist auch charakterlich top. Wenn Bayer 04 Leverkusen nicht der unmittelbare Kontrahent der Münchner wäre, würde ich Harry Kane sogar persönlich den ersten Club-Titel seiner Karriere gönnen.
Wird das Duell Jamal Musiala/Florian Wirtz noch mehr im Fokus stehen als in einem Bundesligaspiel?
Natürlich, beide sind schon in jungen Jahren absolute Weltklasse und dazu enorm torgefährlich. In einem Pokalspiel kann eben eine Aktion alles verändern. Und dazu sind diese beiden Unterschiedsspieler in jeder Sekunde fähig.
Sehen Sie die beiden lieber miteinander oder gegeneinander spielen?
Egal ob miteinander oder gegeneinander, es ist für jeden Fußballfan ein großer Genuss, Florian und Jamal kicken zu sehen. Beide Jungs sind weitgehend perfekt, egal ob beim Dribbling, Passspiel oder Torabschluss.
Haben Sie Angst, dass es eines der letzten Male gegeneinander ist – und Bayern im Sommer zuschlägt?
Es ist völlig normal, dass die Spitzenklubs in Europa an Florian Wirtz und natürlich auch an Jamal Musiala interessiert sind. Ich hoffe, dass Florian noch zwei Jahre – oder auch noch etwas länger – bei Bayer 04 spielt. Außerdem würde ich Ihnen zum Bayern-Kader gerne noch etwas sagen!
Bitte!
Zum Pokalspiel ist es mir wichtig, bei Ihnen die großartige Leistung des FC Bayern München in den vergangenen mehr als 50 Jahren zu würdigen. 33 Mal Deutscher Meister, 20 Mal DFB-Pokalsieger, 6 Mal Champions-League-Sieger sowie UEFA-Cup Sieger, Europa-Pokalsieger, Welt-Pokalsieger und und und, das sagt doch alles. Dazu gehören natürlich auch die Macher. Zum Start waren es Neudecker, Schwan, dann Scherer oder Hopfner. Große Trainer wie Cajkovski, Zebec, Heynckes, Hitzfeld, Lattek, Guardiola, Magath…
Die Liste ist lang…
Und ganz oben thront jedoch die Heilige Dreifaltigkeit mit Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Karl-Heinz-Rummenigge. Dabei entschuldige ich mich bei all den restlichen großen Spielern wie Sepp Meier, Gerd Müller und Co., dass ich sie aufgrund meiner Zeilen-Vorgabe nicht alle nennen konnte.
INTERVIEW: HANNA RAIF