Simon Wulff (Zweiter von links) ist der neue Anschieber im Team von Bob-Pilot Francesco Friedrich (ganz rechts) © Facebook/Friedrich, Emmert, IMAGO
Bestzeit über 100 Meter: 10,06 Sekunden
München – Im Leben von Simon Wulff hat sich im Jahr 2024 so Einiges getan. Dresden statt Leverkusen. Eis statt Tartanbahn. Maximalkraft- statt Sprinttraining. Team- statt Einzelsport. Aber an dieser einen Sache, die den 23-Jährigen charakterisiert, hat sich nichts, absolut gar nichts geändert. „Ich brauche Wettkämpfe, sonst wird es mir langweilig. Ich will zeigen, was ich kann, was ich trainiert habe“, sagt Wulff im Gespräch mit unserer Zeitung. Und das ist auch der Grund, warum der viertschnellste Mann der deutschen Leichtathletik-Geschichte die Tage bis zum Weltcup-Start der Bobfahrer in Altenberg nicht voller Nervosität, sondern Vorfreude herunterzählt.
An diesem Wochenende also ist es so weit. Die Bühne Eiskanal öffnet sich für Wulff – und das Ziel, das der Weltcup-Debütant hat, ist nicht gerade vorsichtig formuliert. „Ich erwarte, dass wir als Schnellste in die Bahn gehen. Denn ich kann mit gesundem Selbstbewusstsein sagen, dass ich der schnellste Bobfahrer bin, den wir in Deutschland haben“, erzählt der Mann, der im Frühjahr zum ersten Mal im Schlitten saß, aber schon jetzt die große Goldhoffnung im Team von Dominator Francesco Friedrich ist. Sich bei der Premiere auf der Heimbahn „gut zu verkaufen und für die nächsten Weltcups zu empfehlen“, ist der Plan. Dass dabei alle Augen auf ihn schauen werden, gefällt Wulff. Im Sprint, sagt er lachend, „hält sich jeder für den Besten“. Wer mehr als 15 Jahre für sich alleine gekämpft hat, kann mit Druck naturgemäß gut umgehen.
Wulff kann zu diesem Thema allerdings eine eigene Geschichte erzählen, die Geschichte seines bisherigen Lebens sogar. Denn er weiß seit August, dass es auch manchmal guttun kann, ohne Erwartungen in einen Wettkampf zu gehen. Bereits im Frühjahr, als er eigentlich nach einer Operation noch gar nicht laufen konnte, war nach einer ersten Probefahrt im Bob – und „vielen blauen Flecken“ – die Entscheidung gefallen, von der Laufbahn aufs Eis zu wechseln. Wulffs Training wurde umgestellt, rund acht Kilogramm sollte er draufpacken. Aber ein echter Abschied von der roten Tartanbahn stand noch aus. Schon die 10,21 Sekunden über 100 Meter in Köln ließen Ende August aufhorchen, was dann aber eine Woche später in Dresden passierte, kann auch er bis heute kaum fassen: 10,06 Sekunden bedeuteten nicht nur persönliche Bestzeit, sondern auch Platz vier auf der ewigen deutschen Bestenliste. Ein Ausstand nach Maß – oder doch Gedanken an die Rolle rückwärts? „Mir war klar, da geht kein Weg zurück, vor allem nicht mit der Perspektive.“
Was Wulff meint, ist nur logisch: die Olympischen Spiele, die in eineinhalb Jahren in Cortina d’Ampezzo anstehen. Friedrich will dort zum dritten Mal hintereinander in beiden Schlitten gewinnen, und Wulff soll nach einer Saison, in der er „so viel Erfahrung wie möglich sammeln“ will, der richtige Mann für das Projekt Gold sein. Die meisten Bahnen, die sein Chef und Vordermann aus dem Stegreif kennt, sind für den Bremser noch neu, auf fünf der sechs Weltcup-Stationen bis zur WM im März in Lake Placid wird er zum ersten Mal fahren. Nebenher startet er beim Jungpiloten Alexander Czudaj im Europacup. Was er aber jetzt, nach 60 bis 70 Fahrten schon sagen kann: „Bobfahren ist kein Dauerlauf. Aber ich finde es überhaupt nicht schlimm.“
Natürlich hat es schon schmerzhafte Momente gegeben, wie etwa in Winterberg, wo er schon im Startbereich aus dem Schlitten gerutscht war. Weil aber einen 2,02 Meter großen und inzwischen 107 Kilogramm schweren Athleten nichts so schnell umhaut, war auch der „Sturz light“, wie Wulff sagt, schnell verdaut.
Im Moment fühlt es sich so an, als tue er das Richtige, bis 2026 wird Wulff daher „keinen Gedanken“ an die Leichtathletik verschwenden. Eine Hybridrolle wie etwa bei Alexandra Burghardt, die bereits im Sommer wie im Winter Olympia-Medaillen gesammelt hat, schließt er aus (“funktioniert im Männer-Bob nicht“). Nach Cortina aber sei er „offen für alles“. Medaillen auf Eis oder aber deutscher Rekord auf der Bahn, irgendwie steht Wulff ja alles offen.
HANNA RAIF