Thorsten Margis will es noch einmal wissen: Der Bob-Anschieber kehrt im Team von Johannes Lochner in den Eiskanal zurück. © Memmler/IMAGO
München – Vielleicht, ganz vielleicht wird Thorsten Margis sich am Wochenende vor den Fernseher setzen. „Aber so richtig bereit bin ich dafür noch nicht“, sagt der 35-Jährige. Als die Bobfahrer am vergangenen Wochenende in Altenberg in die Weltcup-Saison gestartet sind, hat der Anschieber, der sich aktuell auf Neudeutsch in einem „Sabbatical“ befindet, den Live-Ticker vorgezogen. So bekam Margis zwar mit, dass sein langjähriger Pilot Francesco Friedrich mit dem neuen Anschieber Simon Wulff sowohl im Zweier als auch im Vierer ein dickes Ausrufezeichen setzte, während sein baldiger Chef Johannes Lochner Zweiter wurde. Aber er sah keine Bilder – und somit auch nicht live, dass er selbst trotz Abwesenheit das Thema des Wochenendes war.
Ja, es hatte schon für einen kleinen Knall gesorgt, als publik wurde, dass Friedrichs viermaliger Olympiagold-Anschieber Margis nicht wie erwartet Schluss macht im Eiskanal, sondern ausgerechnet beim großen Rivalen Lochner noch einmal zum „letzten Tanz“ antritt, wie er selbst sagt. Ein Jahr Kraft- und Schnelligkeitstraining stehen an, ehe der zehnmalige Weltmeister zur olympischen Saison wieder aufs Eis gehen und seinen langjährigen Partner Friedrich und dessen Team ärgern will. Parallelen zum versuchten „Anschieber-Klau“ von Friedrich, der im Frühjahr Gespräche mit Lochners bestem Mann Georg Fleischhauer geführt hatte, wurden schnell angeführt. Ist die Margis-Verpflichtung der „eingefahrene Schiefer“, den Lochner Friedrich in der kleinen Schlammschlacht unter den Alphatieren angekündigt hatte?
Margis lacht. „Nein, die Fälle sind anders gelagert und lassen sich nicht miteinander vergleichen.“ Denn tatsächlich hatte er selbst bereits nach der letzten Saison und dem WM-Sieg von Winterberg beschlossen, dass er die „unangenehm negative Stimmung“ im Team Friedrich nicht noch zwei weitere Jahre bis zu den Spielen in Cortina d‘Ampezzo ertragen kann. Schon im Vorjahr hatte er sich nur schwer motivieren können, „und wenn der Kopf nicht mitspielt, tut es auch der Körper nicht“.
Diverse Wehwehchen bremsten ihn aus, dazu wurden die Strömungen im Team des Dominators immer unangenehmer. Margis sagt: „Das musste und wollte ich mir nicht mehr geben.“ Aber er sagt auch, dass sich mit zunehmender Distanz herauskristallisiert hat, „dass ich nicht wegen dem Sport, sondern dem Team aufgehört habe“. Und da kam eben Lochner ins Spiel.
Erste Versuche, Margis umzustimmen, blieben erfolglos. Als die beiden sich aber unter blauem Himmel und schönstem Sonnenschein wieder trafen, entstand schnell eine gemeinsame Vision. Zwei Ingenieure, die Bock auf den rasanten Sport haben – „wie doof wären wir, wenn wir es nicht versuchen?“ Margis nahm die Herausforderung an, Friedrich die Entscheidung nüchtern zur Kenntnis, beide gehen nun ihren Weg. Ohne böses Blut. Margis: „Wir haben so viel zusammen erlebt, ich schaue gerne zurück.“
Trotzdem geht der Blick nun nach vorne, denn Margis weiß: „Ein Selbstläufer wird das nicht.“ Ziel ist es, in einem Jahr auf Toplevel für Lochners Vierer-Schlitten zu sein, zudem als Ersatzmann für Fleischhauer im Zweier parat zu stehen. In der ungewohnten Rolle des Jägers schielt Margis nach dem nächsten Olympiagold: „Klappt es nicht, ist nichts passiert. Klappt es doch, wäre es Wahnsinn“, sagt er. Aber er hätte es einfach nicht ertragen, „es nicht versucht zu haben“.
Kritikern, die ihm vorwerfen, das langjährige Know-how aus Friedrichs Team Lochner zu stecken, sagt er: „Das ist mir sch.…egal! Ich kann es ja nicht löschen, sondern werde es positiv einbringen.“ Bis dahin allerdings steht noch ein Dreivierteljahr Training an. Margis genießt die Vorweihnachtszeit in Halle mit seiner Familie: „Das kenne ich ja gar nicht.“ Daher gut möglich, dass der Fernseher am nächsten Wintersportwochenende erneut ausgeschaltet bleibt.
HANNA RAIF