Wolfsritt durch den Pazifik

von Redaktion

Boris Herrmann macht bei der Vendée Globe dank eines Sturms Boden gut

Seit über einem Monat unterwegs: Boris Herrmann. © Team Malizia

München – Der Wind drückt das Segel, sein Boot „Malizia – Seaexplorer“ schneidet die unruhigen Wellen, als sich Boris Herrmann am Dienstagfrüh via Instagram vom Südpazifik in der Nähe Neuseelands meldet. „Ich bin glücklich hier drinnen. Denkt mal an die alten Zeiten, als die Segler in diesen Bedingungen draußen gearbeitet haben“, sagt Hermann im geschlossenen Cockpit sitzend. Er schwenkt die Kamera. Draußen weht der Wind mit etwa 30 Knoten, die Wellen sind knapp drei Meter hoch.

Es ist der 37. Renntag. Herrmann ist schon mehr als 12 000 Seemeilen gesegelt und hat noch etwa 11 000 Seemeilen vor sich. Halbzeit bei der Vendée Globe, könnte man sagen, und Herrmann ist gerade auf Platz neun vorgerückt. Für den 43-Jährigen etwas enttäuschend. Der vor dem Rennen von ihm formulierte Traum vom Sieg ist mit 860 Seemeilen Rückstand auf das Führungsduo Yoann Richomme und Charlie Dalin außer Reichweite. Trotzdem scheint die Laune von Herrmann gut zu sein, denn die gerade zu Ende gegangene fünfte Rennwoche war seine Beste.

„Wir haben sehr viele Meilen auf die Plätze vier bis neun gutgemacht. Wir sind quasi in Rufweite der Gruppe. ,Malizia – Seaexplorer’ war zweitschnellstes Schiff vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Leeuwin“, sagte Herrmann vor einigen Tagen, als er den Indischen Ozean in Richtung Pazifik verlassen hat. „Das sorgt für gute Laune.“ Der Grund für seine schnelle Zeit war ein günstiger Windumschwung. Während die anderen den Wind kreuzen mussten, konnte Herrmann einfach geradeaus segeln. Ein seltenes Glück.

Es ist eben der Wind, der wie Launen der Natur dieses Rennen diktiert – und von dem Herrmann gerade übermäßig profitiert. Er hatte schlimmere Bedingungen im Südpazifik erwartet. Ein Sturm war angesagt, doch der wütet gerade hinter ihm.

„Wir haben so ein Glück, dass wir 50 bis 100 Meilen vor dem Schlimmsten liegen, wo Justine ist“, sagt Herrmann. Denn die Schweizerin Justine Mettraux, an Platz elf und etwa 150 Seemeilen hinter Herrmann liegend, durchsegelt gerade bis zu fünf Meter hohe Wellen und Windstärken bis 40 Knoten. Das Wissen, diesen Sturm im Nacken zu haben, fühle sich für Hermann an wie ein „Wolfsritt“. Seine Landsfrau, die Deutsch-Französin Isabelle Joschke, segelt noch weit hinter dem Sturm liegend durch den Indischen Ozean. Sie liegt auf Platz 17, mehr als 2000 Seemeilen hinter Hermann.

Andere der 36 verbliebenen Solisten kämpfen mit grundsätzlicheren Problemen. Antoine Cornic (Platz 33) beispielsweise nutzte den Schutz der abgelegenen und U-förmigen Insel Saint-Paul, um sein Boot wieder segeltüchtig zu machen. Dazu musste er den beinahe 30 Meter hohen Mast erklettern und eine Schiene wechseln. „Es war sehr hart dort oben, mein Körper ist geschunden“, sagte der Franzose. „Aber die Reparatur hält. Ich bin ziemlich glücklich. Müde, aber glücklich.“ Weniger Glück hatte die britische Skipperin Pip Hare. Mit Tränen in den Augen berichtet sie von einem Mastbruch etwa 800 Seemeilen südlich von Australien. Der erste der diesjährigen Vendée Globe, die für sie damit ziemlich jäh beendet ist,

Für Hermann hingegen geht es noch weiter. Wenn nichts dazwischen kommt, wird er noch über einen Monat auf See sein. Neben den ständigen Winden ist die ständige Einsamkeit wohl die größte Herausforderung für die Skipper. Doch um in diesem Gefühl nicht baden zu gehen, öffnet Herrmann jeden Tag ein Türchen. Mit an Bord ist ein Adventskalender von seiner Frau Birte. Und am Heiligabend wird er sich per Videoanruf zum Familienessen schalten lassen.
FLORIAN WEBER

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