Früher Trikot, heute Anzug: Lahm. © Imago
Der Höhepunkt des Sommers: EM-Turnierdirektor Lahm (l.), hier gemeinsam mit UEFA-Boss Ceferin. © Imago
„Ich will die Kinder verbessern“: Philipp Lahm als leidenschaftlicher Nachwuchs-Förderer. © IMAGO
München – Die Zeiten als Turnierdirektor der Heim-EM hat Philipp Lahm hinter sich. Und was macht der Weltmeister-Kapitän von 2014 mit seiner neu gewonnen Freizeit? Er engagiert sich als Co-Trainer einer U 13. Unser Gespräch über Jugendfußball, Schiedsrichter und abgeschaffte Tabellen.
Herr Lahm, ein Rückblick zum Start: Was war 2024 für den deutschen Fußball für ein Jahr?
Ein erfolgreiches! Weil die deutsche Nationalmannschaft die Fans zurückgewonnen hat. Während und auch nach der EM war spürbar, dass die Fans wieder richtig Lust haben. Sportlich würde ich es als „okay“ einstufen.
Was war es für Sie persönlich für ein Jahr?
Ein spannendes, lehrreiches und interessantes, denn wenn man sechs Jahre auf ein Turnier hinarbeitet und es organisiert, ist man froh, wenn es endlich startet. Und nach dem 14. Juni war ich froh, als der 14. Juli kam und das Turnier vorbei war (lacht). Das Feedback von den teilnehmenden Nationen war sehr, sehr positiv. Wir haben eine spezielle Zeit, in Europa und auf der Welt. Deswegen war es für mich herrlich zu sehen, wie fröhlich die Menschen miteinander waren. Sie haben sich einfach mal fallen lassen. Das haben wir, das hat unser Land den Menschen gegeben.
Können das auch Olympische Spiele in Deutschland den Menschen geben?
Auf jeden Fall! Ich bin dafür, weil Sport die Menschen zusammenbringt. Wir müssen diese Kraft des Sports nutzen! Ich sehe das übrigens im Großen und im Kleinen, also in der Glanz-Welt des Spitzensports, aber genauso in unserem Verein FT Gern, wo Woche für Woche Spiele und Turniere organisiert werden. Das A und O aber ist es, die Leute mitzunehmen. Das habe ich als Turnierdirektor durchgehend gemerkt: Transparenz ist heutzutage sehr, sehr wichtig.
Viele Ihrer Ex-Kollegen sind TV-Experten, Trainer, Manager im Profi-Bereich. Sie hingegen engagieren sich bei Jugend- und Amateur-Themen. Eine Herzensangelegenheit – oder gibt es da mehr zu tun?
Ein Mix aus allem – zumal ich im Consulting vom VfB Stuttgart ja auch noch im großen Geschäft dabei bin. Ich sehe die Sache aber ganz klar: Für mich war es ein Privileg, dass ich Profi geworden bin. Aber der Fußball betrifft Millionen anderer Menschen, vor allem Kinde. Die Wertevermittlung ist daher so etwas Wichtiges, zumal sie im Sport spielerisch abläuft. Aber es braucht eben die Leute, die sich für die Gesellschaft, für das Miteinander engagieren. Ich bin im Verein groß geworden, unser Sohn wird jetzt auch wieder im Verein groß. Ich weiß: Es ist notwendig, zu unterstützen.
Sind Sie der perfekte Botschafter: Sozialisiert in einem kleinen Münchner Verein, danach eine Weltkarriere ohne auch nur einen Platzverweis?
Das kann ich ja über mich selber nicht sagen (lacht). Aber es wäre sicher schwieriger, wenn ich ihnen erzähle, wie wichtig Fairness ist, wenn ich in meiner Karriere wegen Meckerns, groben Foulspiels oder anderen Dingen mehrfach vom Platz geflogen. Da wäre meine Glaubwürdigkeit eine andere.
Sie schauen aber noch weiter über den Tellerrand und haben aus Ihrer Initiative Treffpunkt Fußball die Reihe „Meet the ref“ entwickelt. Ziel ist es, Vereine und Schiedsrichter in den Dialog zu bringen.
Wir wollen gegenseitige Verständnis herstellen – und das hat geklappt. Wir haben vor und nach der ersten Veranstaltungsreihe eine Umfrage in Auftrag gegeben, das Verständnis für die jeweils andere Seite war signifikant höher. Wie lange es anhält, weiß ich nicht, aber wir müssen den Stein schon ins Rollen bringen, um Verbesserungen anzuregen.
Viele Schiedsrichter aber haben über verbale wie körperliche Übergriffe gesprochen. Einer hat sich gar einsperren müssen, weil ein Trainer vor der Tür aggressiv wurde.
Wissen Sie, was das Interessanteste an der Geschichte war?
Was?
Er wurde gefragt, ob er als Schiedsrichter schon Gewalt erlebt hat. Da sagte er, bei ihm sei alles bisher reibungslos gelaufen. Erst später, als er noch einmal gefragt wurde, hat er gesagt: „Ach, Moment! Ich habe mich einmal einsperren müssen, weil ein Trainer wild an der Tür geklopft hat.“ Da sieht man doch, dass solche Situationen, die gar nicht gehen, für Schiedsrichter schon normal sind. Das darf nicht sein! Auch wenn viele Spiele tadellos funktionieren: Jeder Angriff ist einer zu viel.
Wo sehen Sie Lösungsansätze?
Der Dialog ist ein Ansatz. Aber auch, sich immer zu hinterfragen, zu merken, wenn etwas aus dem Ruder läuft – und Regeln anzupassen. Die Anti-Mecker-Regel, die vom DFB nach der EURO umgesetzt wurde, ist ein gutes Beispiel. Da hat sich etwas getan! Und wenn etwas im großen Fußball passiert, sickert es bis zur Basis durch. Allerdings dauert das.
Warum?
Auch Kinder haben sich jahrelang angeschaut, wie sich die Profis beim Schiedsrichter beschweren. Wie sollen die lernen, dass das nicht gut ist? Wir dürfen die Vorbildfunktion nicht vergessen.
Sie sagen ganz klar: „Ohne die Schiedsrichter wäre der Sport nicht möglich.“
Bei den Jüngsten geht es ohne. Aber irgendwann brauchst du Regelhüter, im Sport wie in der Gesellschaft. Allerdings sieht man im Umgang mit Polizei, Rettungsdienst oder Feuerwehr ja auch, dass Regeln heutzutage oft nicht zählen. Konnte man sich je vorstellen, dass solche Menschen im Einsatz angegriffen werden? Unsere Gesellschaft hat sich nicht zum Positiven gewandelt.
Und der Fußball ist das Spiegelbild.
Das sagt man immer gerne. Es gibt im Fußball klare Regeln, aber es müssen alle zusammenhelfen und den Schiedsrichter dabei unterstützen, die Regeln durchzusetzen. Vereine, die schneller handeln müssen. Zuschauer, die Zivilcourage zeigen müssen. Trainer, Eltern, alle dafür sensibilisiert werden müssen. Es ist ein Spiel, das Freude macht! Wir alle lieben es! Wir sollten es nicht kaputtmachen.
Ist der Überehrgeiz von Eltern eine Erklärung? Lothar Matthäus hat in Grünwald aus diesem Grund aufgehört.
Eine gute sogar. Ich habe das Gefühl, dass dieser Traum, Profi zu werden, oft über allem steht. Am Ende sind es wahrscheinlich weniger als 0,01 Prozent, die vom Fußball leben können. Oft entsteht aber auch innerhalb des Teams eher ein Gegen- als ein Miteinander. Was bei Spielen von außen reingeschrien wird von Eltern und Trainern, ist schon manchmal unterirdisch, teilweise bodenlos.
War das zu Ihrer Zeit anders?
Es war zu meiner Zeit so weit weg, Profi zu werden. Meilenweit! Heute kennt jeder jeden Spieler – und man hat durch die Digitalisierung und Globalisierung das Gefühl, dass das Profi-Dasein viel näher ist. Dabei ist es das gar nicht. Aber unter diesem Denken leiden oft die wichtigen Werte. Fairplay, Gruppendynamik, Rollenselbstverständnis, Respekt.
Werte, die Sie als Trainer vermitteln. Wie ist denn der Coach Philipp Lahm?
(überlegt) Fordernd, weil ich die Kinder verbessern will. Aber ich bin nicht der oberehrgeizige Trainer. Jeder soll seinen Platz finden in der Mannschaft – und das ist bei uns besonders schön. Aus der U 13, die ich als Co-Trainer betreue, sind mehr als zehn Jungs seit Bambini-Jahren zusammen. Das ist eine tolle Gemeinschaft, in der jeder spielt, jeder genug Einsatzzeit kriegt.
Macht es Lust auf mehr?
Nein! Ich bin bei den Kindern sehr gut aufgehoben, ich habe keine Ambitionen, einen Trainerschein zu machen. Die Rolle ist perfekt für mich (lächelt).
Wie ist denn Ihr Promi-Status auf anderen Plätzen?
Das eine oder andere Foto gehört dazu. Das Schöne ist aber, wenn man als Papa so lange dabei ist, dass man einfach auch als Papa jeden kennt. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich mit Arjen (Robben/d.Red.) bei einem Hallenturnier unserer Jungs mal auf der Tribüne saß. Wir haben einfach über Kinderfußball philosophiert. Das war super!
Im Jugendalter gibt es keine Tabellen mehr. Aber prägen Siege und Niederlagen nicht?
Für mich gehören Ergebnisse dazu. Auch in der Schule gibt es Noten. Damit muss ich klarkommen. Wenn ich eine schlechtere bekomme, muss ich versuchen, mich zu verbessern. Das ist doch im Fußball das Gleiche. Als Kind habe ich mal einen Elfmeter verschossen, wir haben dann nur Unentschieden gespielt. Ein Drama! Aber es gibt nichts Schöneres, als wenn Mitspieler zu dir kommen und Dich aufbauen. Ich erinnere mich auch noch gut an mein erstes aktives Jahr.
Erzählen Sie!
Wir haben nur verloren. An meinem Geburtstag im November haben wir das erste Tor überhaupt geschossen. Das Spiel ist 1:11 ausgegangen – aber wir waren glücklich.
Auch eine Niederlage, die prägte. Apropos: 2025 steht wieder so ein „Finale dahoam“ an.
Da wünscht man sich als Münchner natürlich den FC Bayern – und das ist auch möglich. Diese ganze neue Champions League kann interessant werden, zumal jetzt auch noch Große schwächeln. Schon die Zwischenrunde kann es super Duelle geben. Und die Bayern gehören für mich zum Favoritenkreis.
Am 31. Mai machen Sie also einen Mannschaftsausflug mit den Jungs?
(lacht) Da muss ich mit dem FC Bayern oder der UEFA sprechen. Champions-League-Finals sind heiß begehrt.