Unterstützung: Robert Glatzel und Miro Muheim wollen eine Strafverkürzung für Mario Vuskovic. © IMAGO/Zink
Iga Swiatek wurde positiv getestet. © IMAGO/Olimpik
Meldonium im Blut: Chelseas Superstar Mykhailo Mudryk. © Glyn Kirk/AFP
Jannik Sinner, Nummer eins der Weltrangliste und mit positivem Test. © Coex/AFP
Bläht den Fußball immer weiter auf: FIFA-Präsident Gianni Infantino. © Charisius/dpa
Pharmakologe und Dopingjäger: Prof. Dr. Fritz Sörgel. © Imago
Zwei Dopingkontrolleure bei der Bundesligapartie zwischen Stuttgart und Köln. © Imago/Britsch
Chinas Schwimmer, die Tennis-Superstars Jannik Sinner und Iga Swiatek und in den letzten Tagen auch noch Chelseas 70-Millionen-Einkauf Michailo Mudryk. Auch das Sportjahr 2024 hatte wieder einige Negativ-Aufreger parat. Doch was bringt Doping überhaupt? Und welche Ausreden sind glaubhaft? Unsere Zeitung hat bei Prof. Dr. Fritz Sörgel nachgefragt. Er leitet seit 1987 das IBMP-Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg. Privat ist Sörgel unter anderem auch Fußball-Fan und sympathisiert mit dem „Club“.
Herr Sörgel, die wichtigste Frage zuerst: Mit welchen Gefühlen geht der Club-Fan in diese Winterpause?
Mit keinen guten. Die Euphorie im Sommer war nach der Ankunft von Miroslav Klose als Trainer riesig, er wurde fast wie ein Messias gefeiert. Das habe ich in den 65 Jahren, in den ich Club-Fan bin, noch nie erlebt, in dem Ausmaß nicht einmal bei den letzten deutschen Meistertiteln 1961 und 1968. Ich sagte mir: schau mer mal.
Aktuell ist der Club auf Platz 11, acht Punkte auf den Relegationsplatz…
Am Anfang hat das Team miserabel gespielt, aber mit Dusel gepunktet. Dann folgte eine hervorragende Phase, mit etwas mehr Glück, hätte der Club zwischenzeitlich sogar Spitzenreiter sein können. Doch dann folgte wieder eine Krise. Ich weiß wirklich nicht, wo das hinführt.
Wenn Sie Mannschaftsarzt wären und freien Medikamenten-Zugriff hätten, was könnten Sie aus dem Team herauskitzeln? Oder direkt gefragt: wie viel Prozent der Leistung steigert Doping?
Mit Paul Pogba von Juventus und Chelseas Michailo Mudryk diskutieren wir im Moment zwei prominente Namen im Zusammenhang mit positiven Dopingproben, sonst gibt es, gemessen an der Größe der Sportart, aber relativ wenig Fälle im Fußball. Wenn man dopen will, dann bringt das natürlich auch im Fußball etwas. Wie viel Doping bringt, hängt in erster Linie von der Sportart ab. Aber eine genaue Prozentzahl kann man nicht angeben, das wäre nicht seriös.
Ich versuche es anders. Meine persönliche Bestzeit über 10 km liegt knapp über 40min. Wie weit komme ich mit der richtigen „Betreuung“?
Entscheidend ist erst einmal, wie viel Talent Sie haben. Unter dem Strich schaffen sie vielleicht fünf Minuten. Aber nur mit viel und für das Laufen richtigem Training und der richtigen Ernährung. Doping alleine erzielt solche Effekte nicht. Die Marathonrekorde purzeln ja fröhlich vor sich hin in ungeahnte Sphären. Ob alle sauber sind? Kann ich nicht sagen, gerade weil das Testsystem im Training in vielen Ländern nicht effizient ist. Aber Talent haben diese Läufer sicher alle, zudem sind sie alle nur Haut und Knochen und haben alles andere als große Muskelpartien.
Bringt Doping bei untrainierten Freizeitsportlern mehr oder bei austrainierten Spitzensportlern?
Der Untrainierte kann mithilfe von beispielsweise EPO natürlich länger laufen. Aber es hilft ihm nichts, wenn er Anabolika nimmt und nicht gleichzeitig die Muskeln trainiert. Die wachsen dann nicht.
Oft hört man den Spruch: Wer dopt, riskiert sein Leben. Kann man das so sagen?
Nicht so einfach, das geben die Statistiken nicht her. Einige sterben auffällig früh, es gibt aber auch andere Gegenbeispiele. Ex-Radprofi Rolf Wolfshohl, der auch positiv getestet wurde, ist kürzlich mit 85 Jahren verstorben.
Der deutsche Milliardär Christian Angermayer will mit einer Gruppe die „Enhanced Games“ ausrichten. Eine Art Olympia, bei der Doping bewusst erlaubt und verabreicht wird. Ist das völlig hirnverbrannt oder interessant für die Forschung?
Eines meiner Lieblingsthemen, ich beschäftige mich sehr ausführlich damit. Zynisch gesagt: Ja, die Spiele würden für die Pharmakologie eine enorme Wissenssteigerung bedeuten, weil Dopingmittel wissenschaftlich nicht gut untersucht sind. Dass sowas Interesse findet, erklärt sich leicht damit, dass Hochleistungssport nicht anderes ist als Zirkus und Spektakel.
Erwischte Dopingsünder werden immer kreativer. Die Nudelsauce, das Spray des Physiotherapeuten, die Sonnencreme, der explodierte Asthma-Inhalator der Mutter… die Ausreden sind vielfältig. Ist davon auch etwas realistisch?
Da findet eine Art Wettbewerb statt, wer die blödeste Ausrede findet. Was mich aber mehr daran stört, ist der Sportgerichtshof CAS, vor den die Sportler ziehen, wenn sie von der Anti-Doping-Agentur WADA verurteilt werden. Der CAS gehört mittlerweile zu den Totengräbern des anständigen Sports, weil er zu viele Ausreden akzeptiert. Zudem ist die Bestrafung nicht einheitlich.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Schauen wir uns an, wie Doping-Sünder über den festgelegten Zeitraum von bis zu vier Jahren bestraft werden: Mario Vuskovic vom Hamburger SV darf vier Jahre nicht im Mannschaftssport trainieren. Individualsportler hingegen dürfen in ihrer Sportart bei einer Sperre trainieren, wie sie wollen. Für den Fußballer im jungen Alter von Vuskovic kann das das Ende der Fußballerkarriere bedeuten. Der 10.000-Meter-Läufer kann beliebig trainieren und ist vielleicht nach den vier Jahren besser als zuvor. Das ist nur ein kleines Beispiel. Aber für mich ist das ganze Antidoping-System am Ende.
Bei Positivproben wird von der Verteidigung oft auf eine geringe Konzentration hingewiesen. Bedeutet eine geringere Konzentration automatisch, dass es weniger schlimm ist und ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es wirklich nur ein Unfall war?
Hören Sie mir bitte mit dem Thema auf und was Anwälte da mit sogenannten Experten fabrizieren. Die Abhängigkeit einer Wirkung von einer Konzentration ist ein ganz zentrales Thema in der Pharmakologie. An unserem Institut sind wir Experten für Antibiotika. Aber ich könnte nicht immer zuverlässig vorhersagen, welche Konzentration bei welchen Patienten wie wirkt. Das gilt sogar für das Penicillin und das kennen wir mittlerweile seit 82 Jahren. Und dann kommt man mit irgendwelchen „niedrigen Konzentrationen“ an und interpretiert da alles rein. Dann kommt noch die Mikrodosierung dazu, die wahnsinnig komplex ist. Also nein: Vorsicht bei Interpretationen von Konzentrationen, sei es pro Sportler oder kontra.
Im Tennis wurden mit Jannik Sinner und Iga Swiatek jeweils die Besten mit Doping in Verbindung gebracht. Wie sehen Sie die Fälle?
Sinner wird bestraft werden müssen, weil er verantwortlich ist, was in seinen Körper kommt. Da hilft es auch nichts, wenn wirklich der Physio etwas an den Händen hatte. Verantwortung lässt sich nicht abgeben. Er muss sich um seine Entourage kümmern, da beißt die Maus keinen Faden ab. Skandalös war in dem Fall in erster Linie der Weltverband ATP, der die Sache fünf Monate geheim gehalten hat. Das ist inakzeptabel.
Swiatek hat den Test mit einem verunreinigten Arzneimittel erklärt.
Theoretisch besteht die Möglichkeit. Warum? Weil die Produzenten ihren Kessel nicht ordentlich sauber machen. Dann kleben an Stoff B eben noch Reste vom Stoff A vom Vortag. So stellt es Swiatek letztlich dar. Aber da würde ich gerne alle Unterlagen sehen, weil ich sicher bin, dass man in Polen alles tut, um seine Super-Sportlerin zu schützen.
Der Turnierkalender im Tennis ist erbarmungslos. Ähnlich sieht es im europäischen Handball, Basketball und Fußball aus. Kann der menschliche Körper diese Anforderungen dauerhaft auf demselben Niveau überhaupt leisten?
Da muss etwas passieren. In den USA macht die Football-Liga NFL sieben Monate Pause. Sieben Monate! In der NBA (Basketball, d. Red.) und der NHL (Eishockey) sind es immerhin vier, in der MLB (Baseball) fünf. Trotzdem wird ein Haufen Geld verdient. Bei den verschiedenen Sportarten missfällt mir vor allem FIFA-Präsident Gianni Infantino, der herrscht wie in einem autokratischen Staat. Für mich wirkt der Kerl in seinem Vorgehen in vielen Fällen kriminell.
INTERVIEW: MATHIAS MÜLLER