Vor dem Absprung ins erste Highlight: Stefan Kraft gehört – mal wieder – zum engsten Favoritenkreis. © IMAGO
Der Mann in Gelb und die große deutsche Hoffnung: Pius Paschke, sechsfache Saisonsieger. © IMAGO
Tourneesieger 2015: Kraft in Bischofshofen. © IMAGO
Rund 16.000 Fans erwarten die Springer beim Tournee-Auftakt in Oberstdorf. © IMAGO
München – Er war der große Überflieger der vergangenen Weltcupsaison. Und jetzt fährt Stefan Kraft als der einzige Springer im Spitzenfeld nach Oberstdorf, die die Vierschanzentournee schon gewonnen hat. Doch beim ersten großen Saison-Highlight setzt er auf einen anderen, wie er im Interview verriet.
Kurz vor dem ersten großen Saisonhighlight stehen Pius Paschke, Daniel Tschofenig und Jan Hörl an der Weltcupspitze. Und dann kommen auch schon Sie…
Gottseidank (lacht). Gerade der letzte Monat der Vorbereitung ist so schlecht gelaufen. Da bin ich schon überrascht, wie gut es jetzt schon läuft. In Lillehammer hat mich der Servicemann angepflaumt: „Hast du uns jetzt wochenlang verarscht?“. Aber man muss schon auch sagen: die ersten Drei sind noch mal auf einem anderen Level. Vor allem Paschke, auch wenn es in Engelberg nicht so gelaufen ist, er hat das Niveau wie ich letztes Jahr.
Trauen Sie ihm zu, das Niveau bei der Tournee wieder aufzunehmen?
Kann ich mir schon vorstellen. Klar, Skispringen ist sehr komplex. Du hast ein, zweimal ein bisschen Pech, dann fängt man zu denken an. Aber der Vorteil ist: Diesmal ist die Pause zwischen Engelberg und Oberstdorf kurz. Da verbringst du zwei Tage mit der Familie und sonst hast du nicht viel Zeit, alles zu überdenken. Pius springt sehr stabil. Wenn er in Oberstdorf gut rein kommt, ist alles möglich. Generell glaube ich eh nicht, dass das bei ihm grob abreißen wird. Das wird für ihn mit Sicherheit eine Supersaison.
Sie sind ja einer der wenigen Athleten, die sogar über Jahre hinweg in der Lage waren und sind, konstant Topleistungen zu bringen. Was haben Sie, was andere nicht haben?
Ein Punkt ist, glaube ich: Ich mache sehr viel und sehr spezielles Krafttraining und halte den Winter ganz gut durch. Meistens sind meine Kraftwerte am Ende immer noch so gut wie am Anfang. Und vor allem musst du bis zuletzt hungrig bleiben. Ich glaube, da habe ich vor allem in den letzten drei Jahren die perfekte Mischung für mich gefunden.
Ist eine perfekte Saison mit mehr als 30 Topwettkämpfen möglich?
Springerisch ist es vielleicht möglich, wenn du den Lauf hast. Und wenn du ohne Krankheit durchkommst. Aber der Wind lässt es nicht zu, ab und zu trifft dich das einfach. Das gehört dazu. Da gibt es so viele Kleinigkeiten, die mit reinspielen können und dann kommst du vielleicht nicht in den zweiten Durchgang. Das kannst du nicht vermeiden.
Wie funktioniert das Regenerieren, das Runterkommen ohne den Fokus zu verlieren?
Ich schaue, dass ich Massagen, Physiotherapie immer dabei habe in der Woche. Aber ich schaue auch, dass ich in die Natur komme, gehe auch gerne eine kleine Skitour oder eine Runde langlaufen. Aktives Regenerieren in der frischen Luft. Das tut mir immer sehr gut. Oder ein paar Einheiten in der Kraftkammer. Und ich versuche, den Reisetag so zu gestalten, dass er als Regeneration durchgeht.
Der eigentliche Wettbewerb ist beim Skispringen eine Frage von Sekunden. Wo geht die meiste Kraft verloren? Viele sagen, durch den Druck des Wettkampfs.
Ja, da tun dir plötzlich Muskeln weh, die du den ganzen Sommer nicht gespürt hast. Aber das spielt sich ein. Da hilft dir natürlich auch die Erfahrung, du weißt einfach, wie du mit den Dingen umgehen musst. Wahrscheinlich deshalb sind jetzt auch eher die routinierten Athleten vorne. Sie können mit dem Drumherum halt besser umgehen.
Sie sprachen den Hunger an, wie erhält man sich den, wenn man – wie sie – schon alles gewonnen hat?
Jeder Erfolg ist immer etwas Besonderes. Für mich war letztes Jahr die Skiflug-WM wahnsinnig emotional. Der Titel hat mich sehr berührt. Weil der Druck so groß war, daheim, und das war der Wettbewerb, den ich noch nicht gewonnen habe. Toll ist auch, wenn du, wie jetzt, zur Tournee fährst und weißt, dass du den Adler schon zu Hause hast. Jeder kennt die Tournee. Es ist so wahnsinnig schwer, weil du dir in vier Springen keinen Fehler erlauben darfst. Da bin ich auch sehr stolz darauf. Aber das war 2015. Lange her.
Immerhin wissen Sie als einziger der aktuellen Topspringer, wie man die Tournee gewinnt. Warum haben Sie 2015 gewonnen?
Boah, die Ausgangsposition war ganz angenehm. Ich war gut in Form. War meistens vorne dabei, hatte aber noch keinen Sieg. Ich war ein kleiner Mitfavorit. Dann bin ich in Oberstdorf in der Quali 40. geworden und die Erwartungen waren im Keller. Am nächsten Tag habe ich dann plötzlich einen guten Probedurchgang gehabt. Im Wettkampf a Naserl Glück, das brauchst du einfach. Das war ein perfekter Auftakt mit dem Michi (Hayböck d.Red) zusammen. In unserem Zimmer hatte ich das Leader-Trikot, er das gelbe. Da war ein unglaublicher Spaß, eine Lockerheit – wir haben geglaubt, wir sind im falschen Film. Den Schwung haben wir dann mitgenommen. Am Bergisel sind wir dann beide Schanzenrekord gesprungen. Erst ich, dann er. Wir haben uns gegenseitig gepusht, aber immer freundschaftlich, obwohl wir die größten Konkurrenten waren. Das war ein sehr cooles Erlebnis.
Die Lockerheit ist bei Ihnen im Team auffällig. Tun Sie sich damit auch leichter im Umgang mit dem Wettkampftrubel wie bei der Tournee?
Es ist schon massiver Druck. Ich werde auch in Oberstorf zittern und nervös sein, wenn ich oben stehe. Aber ich brauche das. Wenn ich so richtig nervös bin, bringe ich meine besten Sprünge. Das war jetzt zu Saisonbeginn jetzt auch so. Aber es stimmt schon, ein gutes Teamgefüge hilft auch während der Tournee sehr. Das haben wir zum Glück.
Das war nicht immer so.
Ja, ich traue mich schon, zu sagen, dass der Michi (Hayböck, d. Red.) und ich die Kultur ein bisschen reingebracht haben. Wir waren immer fürs Team da, haben die Jungen perfekt aufgenommen. Die haben Gaudi, können mit einem Schmäh kommen, uns blöd anreden. Jetzt ernten wir. Wir haben zweimal den Nationencup gewonnen, jetzt sind wir wieder in Führung. Das ist etwas, worauf ich sehr stolz bin. Und wer weiß. Mit einem Naserl Glück, kann dann auch einer in Bischofshofen ganz oben stehen.
Wer holt den Adler?
(überlegt) Jan Hörl. Er haut richtig gute Sprünge raus, ist auch den ganzen Sommer schon gut gesprungen. Hat auch die gewisse Lockerheit.
PATRICK REICHELT