Bereit für den Adler

von Redaktion

Paschke macht sich mit Psychologe Ritthaler Tournee-fit

Das Kreuz mit dem Wetter: In Engelberg erwischte es Paschke. © IMAGO

Plötzlich berühmt: Heung-chul choi. © Imago

Gold steht ihm gut: Pius Paschlke geht als Nummer eins des Weltcups ins Rennen. © Thomas Kienzle/AFP

Der Vogel der Begierde: Den goldenen Adler wird am 6. Januar der neue Tourneesieger stemmen. © imago

Oberstdorf – Zumindest lange nachdenken musste Pius Paschke über diese Tournee-Generalprobe in Engelberg nicht. Der Überflieger des Frühwinters hatte schon so seine Idee, wie er sich den ersten Ergebnisknick dieser Saison mit den Plätzen 10 und 18 eingehandelt hatte. So stürmte er lieber geradewegs heim nach Kiefersfelden.

Weg von den Zweifeln. Weg von allem, dass seine Ausnahmeform schon wieder dahin sein könnte. Die kleine Erkältung, die ihn geplagt hatte, ist weg. Er blickt unaufgeregt auf den Startschuss der Vierschanzentournee am Sonntag in Oberstdorf. „Ich muss wieder in meinen Wettkampfmodus finden“, sagte er, „dann ist vieles möglich.“

Es ist nicht schwer zu erraten, wer in dien Tagen nach Engelberg sein erster Ansprechpartner war. Sportpsychologe Thomas Rithaler ist immerhin schon seit mehr als einem Jahrzehnt einer von Paschkes engsten Begleitern. Und seit der gebürtige Münchner im Vorjahr im zarten Sportleralter von 33 zum Siegspringer geworden ist, wurde der Mann, der die Tournee in Oberstdorf als Weltcup-Spitzenreiter angehen wird, nicht müde, den Hinweis zu geben: „Ohne ihn, wäre ich nicht da, wo ich bin.“

Und das Interessante ist: Ritthaler war eine der wenigen, die schon seit vielen Jahren geglaubt haben, dass in Paschke eben genau der Mann steckt, der derzeit auf den Schanzen um die ganz großen Kuchenstücke fliegt. Auch 2017 war das schon so. Zu einem Zeitpunkt, da der Deutsche Skiverband den stillen Bayern nicht einmal mehr im B-Kader behalten wollte. Ihn also zum Sportler ohne Perspektive erklärte.

Immerhin: Paschke hat nicht aufgegeben. Er ist am Tiefpunkt seinen eigenen Weg gegangen. Hat sich auf individuellem Weg zurück gearbeitet. Nicht zuletzt auch mit Ritthaler. Der Psychologe war selbst lange genug im Leistungssport aktiv, als Leichtathletik-Coach. Er merkte schnell, was für ein Bewegungstalent er da vor sich hatte. „Gib ihm eine Sportart“, sagte Ritthaler, „und er macht sie.“ Das Problem: Paschke selbst wusste nichts um seine Begabung.

Er hatte halt Spaß am Fliegen. Und die Szene faszinierte ihn. Spätestens seit ein Nachbar, schon damals sein glühender Fan, ihn 2002 zum Springen nach Innsbruck mitnahm. Paschke war gerade elf, erlebte Sven Hannawald auf dem Weg zu dem Titel, nach dem er nun selbst greifen will. Welche Dimension die Dinge hatten, hat er damals noch gar nicht verstehen können. „Aber waren tolle Springer in einem tollen Stadion“, erzählte er.

Dass der Traum vom ganz großen Coup gar nicht so abwegig war, davon bekam er zumindest eine Ahnung, als er zu Beginn der Corona-Saison 2020/21 gleich mehrfach in den Dunstkreis der Weltbesten sprang. Sogar Bundestrainer Stefan Horngacher befand da: „Er kann noch viel mehr, aber er weiß gar nicht, wie gut er ist.“

Wahrscheinlich nicht ganz einfach, aus solchen Worten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Geduldig zu bleiben und in kleinen Schritten weiter zu arbeiten. Und es war Ritthaler, der Paschke das nötige Handwerkszeug anvertraute. Dinge, die ihm bei der täglichen Arbeit helfen sollten. Beim Training wie im Wettkampf. Sportpsychologen arbeiten gerne mit Bildern. Bei Paschke griff das Bild, des Bauern, den man ermahnt, sich um seine Kuh zu kümmern. Weil die Kuh für die Milch schon selber sorgt. Mit anderen Worten: Ansetzen kann auch ein Sportler vor allem bei sich selbst.

Natürlich gab es auch sportliche Details, die ihn weiterbrachten. „Vor zwei Jahren habe ich an der Anfahrtsposition gearbeitet, das war sehr gut.“ Aber vielleicht noch größere Wirkung hatte Ritthalers aktuelle, die oberste Stufe seines Programms. „Es geht um Persönlichkeitsentwicklung“, sagte Ritthaler, „um den Menschen.“ Zum Beispiel um die richtige Herangehensweise, das Umschalten von Training auf Wettkampfmodus. Früchte hat die Arbeit alleine in diesem Jahr schon reichlich getragen. Sechs Saisonsiege hat Paschke schon in den Büchern stehen.

Der Wechsel zwischen Trainings- und Wettkampfmodus wird der Punkt sein, der mit darüber entscheiden dürfte, wie Paschke durch die nächsten zehn Tage kommt. Der Deutsche Skiverband wird Paschke und Kollegen generell von allzu großer Öffentlichkeit fernhalten. Mediengespräche werden zumindest deutlich reduziert. Die Mixed-Zone, der Treffpunkt zwischen Sportlern und Journalisten war für Kollege Andi Wellinger im Vorjahr zum Brennpunkt mit bis zu 90 Minuten pro Wettkampf geworden. Hier wird massiv gestrichen.

Ritthaler legte seinem Schützling ans Herz, Störfaktoren sogar noch weiter zu reduzieren. Nichts lesen, nichts hören, Finger weg auch und gerade von sozialen Medien. Nur Dinge, mit denen Paschke den Motor runterfahren kann. Mit der Akkustikgitarre etwa, die Paschke auch im Teamhotel Sonnenbichl dabei hat. Abseits des Springertrosses wird Ritthaler einer der wenigen sein, der mit Paschke in Kontakt treten kann.

Und sportlich? Könnte der Knick von Engelberg vielleicht auch sein Gutes gehabt haben, wie Ex-Bundestrainer Werner Schuster vermutet. „Er ist die letzten Wochen schon am Limit geflogen“, sagte er. Zeit für einen Reset. Ob es klappt, ob Paschke zu seiner Leichtigkeit zurückfinden wird, das wird sich zeigen. Spätestens am Samstag. Dann steht mit der Qualifikation von Oberstdorf das erste Pflichtstück dieser 73. Vierschanzentournee an.
PATRICK REICHELT

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