Der Menschenfänger: Andreas Widhölzl. © IMAGO
Der Blick geht in Richtung Paschke: Der Weltcup-Spitzenreiter ist Austrias Hauptrivale. © Daniel Karmann/dpa
Der Ort der Aufholjagd: In Garmisch-Partenkirchen will Paschke Boden gut machen. Doch er hat ein geschlossenes Team gegen sich. © IMAGO
Garmisch-Partenkirchen – Am Morgen danach war für die Springer Taschen packen angesagt. Der Tross zog eilig weiter. Nach Partenkirchen, an die Olympiaschanze, wo die Vierschanzentournee schon am Dienstag mit der Qualfikation für das Neujahrsspringen weiter geht. Und die einzelnen Teams traten die Reise mit ganz unterschiedlichen Gefühlen an. Bei Deutschlands Hoffnung Pius Pasche war es vor allem Erleichterung. Dass er den kniffligen Auftakt in Oberstdorf zumindest relativ unbeschadet überstanden hatte.
Bei den alles überstrahlenden Österreichern herrschte dagegen rundum gute Laune. Nachvollziehbar, man hat den Rausch der Generalprobe in Engelberg nahtlos ins Allgäu gebracht. Mit Auftaktsieger Stefan Kraft, Jan Hörl und Daniel Tschofenig hat man nach dem ersten Tournee-Viertel gleich drei Athleten in Stellung. Trainer Andreas Widhölzl nimmt es mit einem breiten Lächeln. „Unsere Brust war vorher schon breit“, sagte er, „aber jetzt ist sie es richtig.“ Gleich drei Athleten also, die dem, zum Einzelkämpfer reduzierten Pius Paschke gegenüberstehen. „Die Situation hatten wir auch noch nie“, betonte Widhölzl, „in den letzten Jahren war der Rucksack immer bei Stefan Kraft. Und der war oft schwer.“
Glaubt man Sportdirektor Florian Liegl, dann liegt ziemlich vieles vom Geheimnis des Erfolges beim Trainer selbst. Liegl war einst selbst Skispringer, er kennt das Springerleben aus eigener Anschauung. Er weiß um die Zeiten, in denen auch in Österreich Team-Neulinge vor allem die Lehrbuben der Etablierten waren. So ist Widhölzl, ein studierter Sozialpädagoge, für ihn Neuland. Ein Menschenfänger, ein Coach „der den Menschen in einer Weise in den Mittelpunkt stellt, wie ich sie noch nie erlebt habe.“ Das gilt für die „sehr kreative“ individuelle Arbeit genauso wie für das „Miteinander im Team“. Was herauskommt, das ist sichtbar. Von den Routiniers wie Kraft oder Michael Hayböck bis zu den Newcomern aus dem schier unerschöpflichen Talentereservoir wie Maximilian Ortner. Man ist erfolgreich, man hat Spaß. „Natürlich ist jeder ehrgeizig und will vor allem gewinnen“, sagte der so gelobte Trainer selbst, „aber man freut sich auch für den anderen, wenn er erfolgreich ist.“ Auch der neue Tournee-Primus Stefan Kraft sieht das so: „Das hilft mir, die letzten Prozent rauszukitzeln.“
Man kann das wohl tatsächlich nicht hoch genug schätzen in einer Disziplin, in der doch so vieles im Kopf entschieden wird. So ist es auch kaum verwunderlich, dass auch der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher sein, insgesamt schwer gerupftes Team zum Zusammenhalt aufrief. „Sie können dem Pius jetzt immer noch sehr helfen“, betonte er. Durch gute Sprünge als Energieschub, so wie es in Oberstdorf Karl Geiger in Oberstdorf im zweiten Durchgang gelang. Das breite Lächeln, das dessen 138 Meter-Flug auf Paschkes Miene zauberte, wurde von den Kameras ja prompt eingefangen. Aber es geht eben auch um das bloße Miteinander in den Zeiten an und abseits der Schanze. Zeiten, über die Kraft sagt: „Wir haben brutal viel Spaß miteinander. Ich freue mich drauf.“
Interessant sind auch die Unterschiede im Umgang mit der Außenwelt. Bei den Deutschen pflegt man eher die Abschottung. Auch am Montag blieb man ganz bewusst unter sich. Österreich hält die Türen offen und bediente auch in Oberstdorf geduldig das große Medieninteresse. Für Widhölzl liegt das in der Natur der Sache. „Es gehört dazu, und macht doch Spaß“, sagte er, „wer das nicht mag, der darf eben nicht erfolgreich sein.“
PATRICK REICHELT