„Ich bin eine lebende Legende“

von Redaktion

Wo Kiel spielt, ist auch „Humpel“: Ralf Henningsen (61), Allesfahrer beim Bundesliga-Neuling aus dem hohen Norden. © privat

Herr Henningsen, halten Sie es diese Woche wie immer bei Auswärtsspielen: Freitags Überstunden abbummeln?

Urlaubstage. Aber das Gute ist: Mein Chef ist auch in München dabei. Ich sage immer, wir machen einen Betriebsausflug. Wir sind ein Zwei-Mann-Betrieb. Der ist halt dicht, wenn wir unterwegs sind (lacht). Das ist Fußball-Urlaub – wobei das für mich auch Erholung ist.

Ein Gastspiel in München, ist das der „Tag aller Tage“ Ihrer Laufbahn als Allesfahrer?

Natürlich wird das eine besondere Reise für uns, für mich, das hat schon was! 5500 Auswärtstickets sind verkauft worden – und ich kann schon ankündigen: Wir werden laut sein! Allerdings waren wir schon mal in München. Damals haben wir gegen 1860 verloren…

Haben sich die Bayern da nicht noch etwas ab? Es ist ja doch die Mannschaft, bei der jedes deutsche Team mal spielen möchte.

… und auch gewinnen möchte, um das gleich mal zu sagen (lacht). Mein Tipp ist 2:1 für Holstein. Wir haben 2:2 in Leverkusen gespielt, 4:2 gegen Dortmund gewonnen, letztes Wochenende 2:2 in Wolfsburg gespielt. Dass Bayern am Mittwoch gespielt hat, kann unsere Chance sein. Warum soll es nicht mal klappen?! Was wir können, ist von der ersten bis zur letzten Minute kämpfen.

Wir glauben Ihnen einfach mal, denn wenn einer Kiel kennt, dann Sie.

Zumindest habe ich seit dem Aufstieg 2017 kein Spiel verpasst, das sind inzwischen 229 Spiele hintereinander.

Welches davon war denn das größte Abenteuer?

Lange Reisen sind immer Abenteuer, nach Burghausen zum Beispiel waren es mal mehr als 1000 Kilometer. Und vor zwei Jahren hat die Bahn gestreikt, da bin ich spontan mit dem Auto runtergefahren nach Fürth. Sagen wir mal so: Man muss manchmal spontan sein, aber ich reise immer mit genügend zeitlichem Puffer. Einen Anpfiff habe ich noch nie verpasst. Was unsere Ultras manchmal machen – Hinfahrt, Spiel, Rückfahrt –, das finde ich Wahnsinn.

Sind Sie kein Ultra?

Ich bin eine lebende Legende (lacht). Mich kennt in Kiel jeder. Allerdings nennt mich niemand Ralf, sondern alle Humpel.

Warum eigentlich?

1982, als ich gelernt habe, hatte ich mittags um 12 Uhr Feierabend. Wir haben abends gegen Rot-Weiß Essen gespielt, da hatten wir allerdings schon einen getrunken. Ich habe also im alten Stadion auf einer Treppe vier Stufen gesehen, obwohl es nur zwei waren, da waren alle Bänder im rechten Fuß gerissen. Nach der OP war ich beim nächsten Heimspiel wieder da – aber eben an Krücken, also: als „Humpel“.

1982 waren Sie in den Anfangsjahren Ihrer Fan-Zeit. Wie sind Sie denn zu einem Holstein-Verrückten geworden?

Ich bin Holstein- und Gladbach-verrückt, weil wir dort Verwandte hatten. Mein Vater hat mich mit ins Stadion genommen, mir wurde das quasi in die Wiege gelegt. Die obligatorische Holstein-Bettwäsche gab es zwar nicht, aber eine Fahne, ein selbstgestrickter Schal von der Oma, Holstein-Mütze– dann ging es los.

Was ist das Holsteiner „Mia san mia“?

So einen Spruch haben wir nicht. Kiel ist blau-weiß-rot. Das reicht uns, das sagt alles.

Dann anders gefragt: Was ist typisch nordisch für Sie?

Fischbrötchen (lacht) – und das Meer. Außerdem jammern wir nicht rum, wenn das Wetter mal schlecht ist. Dann sagen wir „norddeutsches Wetter“, und gut ist es.

Und Sie jammern auch nicht rum, wenn man in der Tabelle auf Platz 17 steht?

Nein! Unser Vorsänger sagte über die Bundesliga-Saison: Das sind 34 Feiertage – und die genießen wir. So ist das Gefühl auch heute noch, bei jedem, den ich spreche. Dass ich das auf meine alten Tage nochmal erlebe, erste Liga in München, das ist schon ein Highlight. Wenn wir drinnen bleiben, ist es top. Wenn wir absteigen, ist es so. Immerhin haben wir es dann mal mitgemacht.

Selbst wenn Sie weitere Spiele in der zweite Liga sammeln müssen. Sie haben noch lange nicht genug, oder?

Solange ich gesund bleibe, ist alles gut. Wenn ich nicht mehr mit Holstein reise, bin ich alt. Es hält jung, wenn man so einen Blödsinn mitmacht. Aber ich kann es mir auch einfach nicht vorstellen, ein Holstein-Spiel im Fernsehen zu schauen.

229 Spiele sind es, wie viele sollen es mindestens werden?

250 sind das Ziel.

Und dann lassen Sie es langsamer angehen?

Ich glaube nicht (lacht).

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