„Im Rennanzug werde ich zur Bestie“

von Redaktion

Ski-WM: Superstar Marco Odermatt über Angst und die Sicherheitsdiskussion

Odermatt räumt die Preise nur so ab.

Mikaela Shiffrin. © Facciotti/dpa

Odermatt holte zuletzt drei Mal den Gesamtweltcup.

44 Weltcupsiege feierte Marco Odermatt: 26 im Riesenslalom, 14 im Super-G, vier in der Abfahrt. © IMAGO/Grebien

Er ist der beste Skirennfahrer der Welt, in Super-G (Fr., 11.30 Uhr), Abfahrt (So., 11.30) und Riesenslalom (Fr. 14.2., 9.45/13.15 Uhr) der Favorit bei der WM in Saalbach: Marco Odermatt. Im Interview mit unserer Zeitung sagt der Schweizer: „Wenn ich am Start stehe, weiß ich: Das Ding gewinne ich.“

Herr Odermatt, Sie haben in den vergangenen Jahren dreimal hintereinander den Gesamtweltcup gewonnen. Dabei fuhren Sie in der Jugend hinterher. Was war da los?

So richtig schlecht war ich nie – aber auch nie so richtig gut. Das lag daran, dass ich zu wenig auf den Rippen hatte. Das hat sich dann im Teenageralter geändert, ich nahm endlich zu. Im Winter, wenn der Ski-Weltcup beginnt, bringe ich jetzt immer so 88, 89 Kilo auf die Waage. Das ist dann mein ideales Wettkampfgewicht. Ich muss aber zugeben: Beim Riesenslalom zähle ich eher zu den Schwereren, bei den Speed-Disziplinen, also Super-G und Abfahrt, zu den Leichtgewichtigen. Ich musste einen guten Mix finden – und den habe ich.

Wie bereiten Sie sich vor, wie kommen Sie in den Rennmodus?

Die erste Phase geht los, wenn ich zum Starthaus komme. Das spüre ja nicht nur ich, sondern mein ganzer Körper geht in eine Alarmbereitschaft… Richtig im Rennmodus bin ich aber erst zwei, drei Minuten vor dem Start. Dann geht es aber mal so richtig los.

In dem neuen Trailer „Downhill Skiers“, der im November 2025 in die Kinos kommt, sagen Sie, dass man ganz schöne „Big Balls“ brauche. Auf deutsch: Große Eier!

Das ist ja so, man braucht diese einfach, wenn es im Zielraum grün aufleuchten soll. Und um das geht es ja: sich und sein Material ans Limit zu bringen, zu gewinnen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie nie Angst hätten.

Ich fahre Rennen, seit ich laufen, seit ich denken kann. Natürlich habe ich vor so einer Abfahrt Respekt. Und das ist gut so. Am Ende habe ich ja aber nur einen Gegner: den Berg. Wenn ich ihn bezwinge, habe ich schon mal gewonnen. Erst dann geht es darum, wie die anderen Rennläufer mit dem Berg fertig wurden, wie schnell sie am Schluss waren. Aber Angst – das können Sie mir wirklich glauben – habe ich wirklich nie.

Aleksander Aamodt Kilde schnitt sich mit seinem messerscharfen Ski selbst die halbe Wade ab. Cyprien Sarrazin erlitt eine schwere Kopfverletzung, die Ärzte mussten ihm den Schädel aufbohren. Was macht das mit Ihnen?

Am Renntag blende ich das komplett aus. Das muss ich auch, sonst könnte ich da nicht runterfahren. Dann ist es aber auch so, dass ich ein Mensch bin, genauso Gefühle wie jeder andere hat. Die Fahrer, die Sie ansprechen, also Aleks und Cyprien, sind die besten Skifahrer auf dieser Welt. Sie fahren so gut Ski wie kein anderer Mensch auf diesem Planeten. Wenn ihnen etwas passiert, berührt mich das natürlich sehr. Einerseits. Andererseits, mein Job ist nun mal Skirennfahrer zu sein.

Analysieren Sie und Ihr Trainerteam die Stürze der anderen?

Ich informiere mich, was passiert ist. War es ein Fahrfehler? War die Piste in einem schlechten Zustand? Das schon. Ansonsten frage ich meine Trainer immer nur zwei Sachen: Wo ist die Ideallinie? Wie komme ich an jenen Stellen am schnellsten runter?

„Skirennfahrer haben eine andere Art von Risikoeinschätzung als normale Menschen“, sagt Rainer Salzgeber, der Renndirektor von Head.

In dem Trailer, den Sie ja gesehen haben, sage ich es ja. Sobald ich einen Rennanzug anziehe, werde ich zur Bestie.

Salzgeber spricht sich für schnittfeste Unterwäsche, dickere Rennanzüge und endlich einheitliche Regularien bei den Carbon-Einlagen aus.

Bevor wir alle über die Zukunft sprechen, sollten wir uns erstmal mit der Gegenwart beschäftigen. Ich weiß nicht genau, wie viele es im Weltcup sind, viele sind es aber nicht, die beides benutzen: also schnittfeste Unterwäsche und einen Airbag. Mir muss aber auch niemand sagen, dass ich mich schützen soll. Das will ich ja selbst. Sicherheit müsste jedem Fahrer und jeder Fahrerin am Herzen liegen, allein schon aus Eigeninteresse und Eigenverantwortung heraus.

Sie haben also beides an?

Na klar! Gerne würde ich noch ein paar andere Punkte ansprechen.

Ich bitte Sie, unbedingt!

Immer wieder wird über eine smarte Bindung gesprochen. Davon sind wir, glaube ich, Lichtjahre entfernt. Ebenso halte ich von dickeren Rennanzügen nicht viel. Denn wenn es zu einem Sturz kommt, ist es dem Schienbein oder Kreuzband egal, ob ich einen festeren Anzug anhabe. Das Kreuzband wird trotzdem reißen, das Schienbein brechen. Und wenn die Tore beim Super-G nicht mehr so weit auseinandergesetzt sind, wirken mehr Fliehkräfte auf uns Rennfahrer. Bringt also auch nicht so viel. Ich habe andere Vorschläge.

Die wären?

Ich würde allen voran bei den Weltcup-Rennen an den Folgetagen oder am darauffolgenden Wochenende ein Europacup-Rennen starten lassen. So können sich die Nachwuchsfahrer sich gleich mal an die eisigen und ruppigen Pisten gewöhnen. Die Infrastruktur steht doch schon. Warum nutzen wir diese nicht für die Nachwuchsfahrer? Dann würde ich den Rennkalender entzerren, nicht jedes Wochenende muss ein Skirennen sein. Last but not least sehe ich bei den Helmen noch Handlungsbedarf. Die letzte Zertifizierung der FIS, also des Internationale Skiverbandes, ist mehr als ein Jahrzehnt alt. Da muss endlich mal wieder was passieren. Und: Es kann nicht sein, dass es für den normalen Straßenverkehr Airbags gibt, im Skirennsport aber nicht. Wir brauchen einen Helm-Airbag.

„Wir haben keine Skier, wir haben Waffen“, warnte die italienische Abfahrts-Olympiasiegerin Sofia Goggia. Was sagen Sie dazu?

Da bin ich anderer Meinung. Es ist doch eher so, dass sich in den vergangenen zehn Jahren bei unseren Rennskiern gar nicht so viel getan hat. Ich fahre Modelle, die bereits acht oder neun Jahre alt sind. Noch krasser ist es bei den Bindungen. Ich kann Ihnen jetzt nicht genau das Datum sagen, glaube aber, dass die Technik der Marker-Bindungen, die fast alle fahren, bereits mehr als 20 Jahre alt ist.

In der Kritik stehen Carbon-Einlagen. Es soll Fahrer geben, die tragen welche, die den Unterschenkel umschließen. Das sei gefährlich, sagt die FIS, weil sie noch eine direktere Übertragung der Energie auf die Skier ermöglichen. Tragen Sie die auch?

Das einzige, was ich verwende, sind Carbon-Einlagen auf meinen Schienbeinen – und das aus einer medizinischen Notwendigkeit heraus. Die sehen aus wie Schienbeinschober von Fußballern. Seit nun mehr als sieben Jahren kämpfe ich jeden Winter mit Schmerzen an meinen Schienbeinen. Trage ich hingegen die Einlagen, federn diese den Druck ab. Ansonsten hätte ich von morgens bis abends nur Schmerzen.

Der beste Schweizer Skifahrer sind Sie schon mal. Marc Girardelli rangiert mit 46 Siegen knapp vor Ihnen. Ganz vorne sind Alberto Tomba (50), Hermann Maier (54), Marcel Hirscher (67) und Ingemar Stenmark. Schielen Sie auf das Ranking?

Pirmin Zurbriggen als bester Schweizer zu überholen, war mein Ziel. Das habe ich geschafft. Das macht mich stolz. Aber ob ich jemals die anderen überholen kann, davon hängt mein Lebensglück nun nicht ab. Die haben doch echt viele Rennen gewonnen.

Ihre Heimatgemeinde Buochs, so der Plan, wollte eine große Tafel mit einem Konterfei am Dorfeingang aufbauen. Sie haben sich dagegen gewehrt. Warum?

Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jede Bürgerin und jeder Bürger darauf Lust hat, jeden Tag mein Gesicht zu sehen.


INTERVIEW:

ANDREAS HASLAUER

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