„Ich gehe den Weg mit“: Doch Herrlich will der SpVgg Schritt für Schritt mehr Leistungsdenken vermitteln. © Sampics / Stefan Matzke
Unterhaching – Vier Spiele, ein Punkt – es ist nicht die Bilanz eines Retters, mit der sich Heiko Herrlich (53) in Unterhaching einführte. Doch der ehemalige Nationalstürmer denkt in seinem zweiten Engagement bei der SpVgg langfristig.
Manni Schwabl sprach bei der Trainersuche von einem Flirt mit Felix Magath, Sie trafen sich dann an Silvester in Österreich. Wie gut sind denn die Flirtkünste des Präsidenten?
Als ich ihn gesehen habe, hat mir seine Körpersprache nicht gefallen. Ich habe ihm gesagt, dass die Situation schwierig ist, er aber unbedingt positiv bleiben muss. Anschließend hatten wir ein gutes Gespräch.
Schwabl sagte, ein neuer Trainer arbeitet auch nicht nur für ein Weißbier und ein Schweinsbraten. Wie viele musste er springen lassen, um Sie ins Hachinger Wirtshaus zu locken?
Ich war ja schon mal hier, vor vielen Jahren. Und ich hab sehr schöne Erinnerungen daran. Manni lenkt den Verein mit viel Herz, und das Finanzielle stand für mich schon 2011 nicht im Vordergrund.
Sie haben alle Facetten des Trainerberufs erlebt. Was reizt Sie an der Rückkehr nach Haching, das auf dem letzten Platz der 3. Liga festzementiert wirkt.
Ich liebe einfach meinen Beruf! Ich hatte in meiner Karriere genug Aufmerksamkeit – und hab auch genügend Titel geholt. Als ich Regensburg in der Regionalliga übernommen hatte, wurden mir ähnliche Fragen gestellt. Ich hab es immer als Privileg erachtet, im Fußball bleiben zu können, und irgendwie schien das alles stimmig hier: Dass Sven Bender weitermacht – ich hatte ihn ja damals nach Leverkusen geholt. Um es kurz zu machen: Für mich hatte Mannis Anfrage Charme – auch wenn es eine schwierige sportliche Lage ist.
Bestimmt hatte Schwabl bei Ihrer Verpflichtung auf einen Soforteffekt gehofft. Jedoch: Vier Spiele und nur ein Punktgewinn. Ist der Zauber des Neuanfangs schon verblasst?
Wenn Sie mich so fragen, ja. Klar, also am Ende sind Punkte und Siege die Währung, nichts anderes. Das versuche ich auch, den Spielern zu vermitteln. Ihr Job ist nicht Fußball zu spielen, sondern Ihr Job ist Spiele zu gewinnen, egal wie. Du musst es wollen, du musst fighten. Aber hier ist halt alles ein bisschen anders.
Wie meinen Sie das?
Es mischt sich alles, der Nachwuchs- mit dem Profibereich. Wenn ich manchmal in die Kabine komme, sitzen da auch U 21-Spieler drin. Nicht falsch verstehen: Ich finde es richtig, dass dem Nachwuchs größte Wertschätzung entgegengebracht wird, aber wenn du ein Profiverein sein willst, muss jeder wissen, wer die 20 oder 22 Spieler sind, die am Samstag den Laden schmeißen. Da geht es um den Fokus, den du einfach brauchst, um erfolgreich zu sein!
Leise Kritik am familiären Hachinger Weg?
Nicht generell am Hachinger Weg. Aber es ist eben nicht jeder Profi. Du musst dir das erarbeiten, Woche für Woche dafür leben. Ich glaube, man sieht auch anhand der Punkte und der Entwicklung, dass es so eben schwierig ist. Mir ist natürlich bewusst, dass Haching diese Durchlässigkeit ausmacht, aber ich will hier noch mehr Leistungsdenken reinbringen. Ein Leistungsklima.
Fehlt Haching ein Spielertyp, wie ihn der Trainer früher verkörpert hat?
Einer, der den Ball wirklich ins Tor reinmachen will. Ja, letztendlich ist das das Entscheidende. Aber das ist nicht nur bei Heiko Herrlich so – so tickt jeder im Profibereich. Vielleicht hat man an irgendeinem Punkt verpasst, das klarzumachen. Wir sind keine Waldorf-Gemeinschaft, dass wir jetzt sagen: Toll, wie wir jetzt in Essen gespielt haben. Super Julian, dass du dein Trikot jetzt schon richtig rum angezogen hast und die Schuhe alleine binden kannst! Sven denkt zum Glück genau wie ich.
Fünfzehn Spiele stehen noch aus – bei neun Punkten Rückstand ans rettende Ufer. Ein Himmelfahrtskommando?
Das ist jetzt Ihr Begriff. Dem Risiko, dass es nicht funktioniert, setze ich mich aus, klar. Da hab ich kein Problem mit. Ich habe genug auf die Fresse gekriegt in meiner Fußballkarriere. Ich sehe einfach die Chance. Und mir macht es Freude. Ich komme jeden Tag gern. Die Jungs haben ein Riesenherz. Sie wollen sich verbessern. Sie wollen Gas geben. Aber am Ende bin ich nur richtig zufrieden, wenn ich Spiele gewinne.
Ein Abstieg im Jahr des 100-jährigen Bestehens der SpVgg wäre fatal, oder?
Das wäre natürlich nicht so schön, da gebe ich Ihnen recht. Aber wenn das passieren sollte, wird die Erde auch nicht aufhören, sich zu drehen.
Praktischerweise haben Sie gleich auch für die Regionalliga unterschrieben. Um noch mal wie bei Jahn Regensburg das Feld von ganz hinten aufzurollen?
Ich habe Manni gesagt: Du, wir können das für ein halbes Jahr machen oder länger. Guck einfach! Ich werde so oder so versuchen, viele Dinge mit zu verändern. Am Ende wollten wir beide ein Zeichen setzen. Ich wollte signalisieren, dass ich den Weg mitgehe.
Konstantin Heide haben Sie nach einigen Patzern auf die Bank gesetzt. Wie viel Feingefühl ist da notwendig bei einem 19-jährigen Spieler, der Haching im Abstiegskampf auch schon Spiele gerettet hat?
Da musst man immer abwägen. Wenn ich als Stürmer der schlechteste Mann auf dem Platz war, am Ende irgendwie angeschossen werde und das Tor mache, dann bin ich der Held. Habe ich oft genug erlebt. Aber als Torwart… Da kann er in anderen Spielen noch so gut halten. Ich hör natürlich in die Mannschaft rein und will den Spielern auch nicht die Möglichkeit für ein Alibi geben. Ich habe Konsti geschützt, ich habe aber auch einen pädagogischen Auftrag. Letztendlich sind wir in einem Leistungsgeschäft. Aber klar ist auch, dass der Konsti ein großes Talent ist und seinen Weg machen wird.
Saarbrücken, Aue, Rostock, Sandhausen, Verl. Gegen welche Gegner kann die SpVgg punkten?
Ich lebe nach dem Beppo-Prinzip. Haben Sie das Momo-Buch gelesen? Da fragt er den Straßenkehrer: Woher nehmen Sie Ihre Motivation? Die Straße ist ja ewig lang! Und Beppo sagt, ich konzentriere mich immer auf den nächsten Meter und freue mich dann, wenn der sauber ist. So arbeiten wir gerade. Wir denken von Spiel zu Spiel. Jetzt geht es eben darum, die bestmögliche Leistung gegen Saarbrücken zu bringen.
Der berühmte Hachinger Weg setzt ja eine hohe Identifikation voraus. Können Sie sich vorstellen, bei der SpVgg eine Ära zu begleiten? Bisher waren Sie nirgends länger als zwei Jahre…
Als Spieler war ich extrem vereinstreu. Als Trainer nimmt man sich das auch vor, aber da ist man noch mehr von anderen abhängig. Ich bin immer zu einem Verein hingegangen mit der Vorstellung, ich mach‘ das ganz lange. Jeder wünscht sich eine Trainerkarriere wie Alex Ferguson, Christian Streich oder Frank Schmidt und zumindest vom Kopf her gehe ich es auch immer so an. Du musst verheiratet sein mit der Geschichte, mit den Jungs, mit der Herausforderung. Du kannst nicht von heute auf morgen alles jetzt drehen, obwohl du es manchmal gerne machen würdest.
Was wäre eigentlich Ihr Karriereplan gewesen, wenn Schwabl nicht kurz vor Silvester angerufen hätte?
Ich habe meine private Rolle und die Zeit mit meiner Familie zuletzt sehr genossen. Das Essen schmeckt den Kindern inzwischen auch. Augsburg war ein toller Verein, aber für mich zur falschen Zeit. Die Corona-Zeit hat den Fußball und alles eingeschränkt. Man konnte wenig machen, durfte kaum unterwegs sein.
Außer zum Zahnpasta kaufen…
(lacht) Ja, diese Geschichte werde ich nicht mehr los. Wenn man mich googelt und auf Videos geht: Von den ersten zehn Einträgen geht es bei sieben um die Zahnpasta – und die nächsten drei sind, wie ich in Leverkusen umgefallen bin. Die Leute müssen denken: Der ist behämmert, dem muss mal ein Fels mal auf den Kopf gefallen sein. Aber gut: Wenn man mich jetzt darauf reduzieren will, dann ist es halt so. Halte ich auch aus.
Die Haching-Aktie steht gerade bei 1,80 Euro, ein historischer Tiefpunkt. Machen Sie doch mal Werbung: Warum sollte man als Fan gerade jetzt in die SpVgg investieren?
Ich glaube an die Menschen, die hier arbeiten – und an den Standort. Neben dem FC Bayern gibt es genug Platz und vielleicht auch bald bessere wirtschaftliche Möglichkeiten. Ob wir das sind, die eines Tages wieder ganz oben dabei sind, oder ob es ein anderer Verein ist, wird man sehen. Und Haching hat halt auch eine tolle Vereinsgeschichte, ist mal ganz unten – und plötzlich wieder oben. Ich will keinen Vergleich mit Union oder St. Pauli ziehen, aber der Fußballromantiker in mir liebt diesen Verein.