Von Platz fünf im ersten Durchgang kämpfte sich Strasser noch auf das Treppchen. © Trovati/dpa
Erleichterung beim gesamten Team – Straßer ersparte dem DSV eine komplett medaillenlose WM. © Büttner/dpa
Papa, was machst du da? Linus Straßer testet sein Bronzemedaille; auf dem Arm: Tochter Marta. © Büttner/dpa
Bronze im Slalom – Linus Straßer (32) hat vergangenen Sonntag mit zehn Jahren Anlauf endlich eine WM-Medaille gewonnen. Doch er musste zittern. Erst ein Einfädler des in Führung liegenden Franzosen Clement Noel brachte die Erlösung. Wie der Münchner diese Momente in Saalbach erlebt hat, und warum Tochter Marta den Schweizer Kollege Loic Meillard anfeuert, erzählt er im Gespräch mit unserer Zeitung.
Linus, im Interview nach dem Slalom haben Sie erzählt, dass Sie während des Laufs von Clement Noel die Ski-Schuhe ausgezogen haben. Haben Sie keinen Blick gewagt?
Klar habe ich am Anfang hochgeschaut. Aber irgendwann nicht mehr.
Wieso?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Wenn einem ein Traumlauf gelingt, spürt man das als Fahrer. Vergangenes Jahr in Kitzbühel zum Beispiel, da wusste ich: Das muss erst mal jemand besser machen. Dieses Gefühl hatte ich am Sonntag nicht. Im Ziel dachte ich: Das geht noch schneller, das wird eine enge Kiste mit dem Podest.
Sie lagen in Führung. Aber vier Konkurrenten standen noch oben.
Genau. Der Vierte, der Norweger Timon Haugan, war langsamer. Ich dachte: Aaah, ok. Mal schauen. Atle Lie McGrath war dann schneller. Ich damit Zweiter und noch zwei oben. Als Loic Maillard auch vorne reingefahren ist, saß ich auf dem Schleudersitz.
Alles hing an Clement Noel, dem Olympiasieger von 2022.
Wir hatten in der Woche zuvor zusammen trainiert, Clement war gut drauf. Außerdem hat er schon vier Saisonsiege geholt. Auch wenn er manchmal ausscheidet, meine Hoffnung war nicht besonders groß. Zumal der Kurs keine tückischen Stellen beinhaltete, man konnte Vollgas fahren. Am ehesten war es noch oben schwierig. Nach den ersten zehn Toren war mir klar, dass sich das für mich nicht ausgeht. Neben mir stand der Manni Moelgg. Ich habe noch zu ihm gesagt: „Oh Mann, jetzt werd‘ ich Vierter.“
Und haben sich die Schuhe ausgezogen.
Genau. Ich habe mich runter gebückt – aber plötzlich höre ich ein riesiges Raunen. Als ich wieder hochgeschaut habe, ist Clement auf geradem Weg den Hang heruntergefahren.
Verzwickte Gefühlswelt, nehme ich an. Man freut sich über Bronze, aber man jubelt anders, wenn es durch ein Malheur des Konkurrenten passiert, oder?
Man will es auf sportlicher Ebene erledigen. Auf der anderen Seite ist unser Sport eben so. Ich habe Clement noch im Zielraum gesagt, dass es mir für ihn leidtut. In so einem Moment auch für den an diesem Tage Geschlagenen da zu sein, versteht sich für mich von selbst.
Aber Sie konnten sich schon auch freuen?
Es waren gemischte Gefühle. Am Tag danach habe ich mit meiner Frau und meiner Mama darüber gesprochen. Sie meinten, dass ich in den Interviews nicht richtig euphorisch gewirkt habe. Ich versuche immer möglichst authentisch zu sein und nicht irgendwelche Phrasen von mir zu geben. Ich war natürlich schon wahnsinnig glücklich, aber gleichzeitig habe ich dieses ‚Schwarz-Weiß‘ als sehr krass empfunden.
Wären Sie Vierter geworden, würden wir jetzt vielleicht gar nicht sprechen.
Deswegen bin ich demütig. Als Sportler erlebst du ständig Höhen und Tiefen. Im Dezember hatte ich eine harte Zeit. Alta Badia war der Tiefpunkt, an dem ich alles hinterfragt habe. Meine vergangene Saison war gut, aber ich wollte in diesem Winter noch einen Schritt nach vorne machen. Dabei habe ich mich beim Material völlig verrannt. Ich dachte: „Mist, wie komme ich da bloß wieder raus“. Zum Glück habe ich es geschafft. Und dann war ich vor ein paar Tagen plötzlich die letzte deutsche Hoffnung. Die Medaille ist die Kirsche obendrauf, aber das Erfüllende ist der Weg dorthin.
Bei Ihrer ersten WM vor zehn Jahren in Vail gewannen Fritz Dopfer und Felix Neureuther Silber und Bronze. Sie wurden als Emporkömmling guter Zehnter. Die WM-Slalom-Ergebnisse danach – 20. , 28., 15. und 9. – entsprachen nicht Ihrem Potenzial. Habe Sie mit der WM jetzt Frieden geschlossen?
Ich habe definitiv ein großes Ziel erreicht. Einen Weltcupsieg ergattert man leichter über alle die Jahre, wenn man ein gewisses Niveau hat. Aber eine WM, das ist ein Tag, an dem alles passen muss. So eine Medaille kann man nicht erzwingen, die passiert.
Im Ziel waren schnell Frau Maria und Töchterchen Marta an Ihrer Seite. Hat das den Erfolg noch schöner gemacht?
Es war auf jeden Fall schöner als wenn sie nicht dabei gewesen wären. Das Ergebnis und die Medaille, dieses Stück Edelmetall, sind unter dem Strich wahnsinnig vergänglich. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Und über diesen Tag werde ich mit Maria auch in 20 Jahren noch sprechen.
Wie viel versteht Marta mit ihren drei Jahren eigentlich von all dem schon?
Rote Zeit: schlecht. Grüne Zeit: gut. So weit geht‘s. Aber die Wiederkennung im Fernsehen ist manchmal noch ein Problem. Es kommt vor, dass sie Loic Meillard anfeuert, weil sie ihn für mich hält (lacht). Aber das passt schon. Außerdem ist sie irritiert, warum der Papa immer mit Vor- und Nachnamen genannt wird.
Die Medaille – Vergänglichkeit hin oder her –, bekommt die zu Hause einen speziellen Platz?
(überlegt). Gute Frage. Ich hab‘ einen alten Bauernschrank, auf dem die Pokale und Trophäen stehen. Da findet sie vermutlich einen Platz, auch wenn es dort langsam ein bisschen eng wird.
Sie sind jetzt 32 Jahre alt. Nächste Saison sind Olympische Spiele. Ein typischer Moment, einen Schlussstrich zu ziehen. Ist schon ein Karriereende in Sicht?
Hin und wieder fällt mir auch auf, dass ich nicht mehr der Jüngste bin für einen Sportler. Aber ich schätze mein biologisches Alter als jünger. Natürlich hinterlässt der Leistungssport Spuren, aber wenn ich aufstehe, tut mir nichts weh. Ich denke also noch nicht ans Aufhören.
INTERVIEW: MATHIAS MÜLLER