Spielt in seiner ersten NBA-Saison eine wichtige Rolle für die Orlando Magic: Tristan da Silva. © IMAGO/Dowell
San Francisco – Tristan da Silvas Rendezvous mit der Vergangenheit ereignete sich in San Francisco. Dort kam die Oberschicht der NBA zu ihrem All-Star-Wochenende zusammen, feierte den Basketball und natürlich sich selbst. Zwangsläufig fiel das Scheinwerferlicht auch auf den Münchner. Der verriet der Meute an Medien etwa, wie er mit zwölf Jahren einmal 39 Punkte gegen die Bayern erzielte. Mehr schaffte er danach nicht mehr. Oder wie er in der Fischer-von-Erlach-Halle – diesem ehrwürdigen Heim des Sportbunds in Pasing – seinen ersten Dunk fabrizierte, auf einen der herunter gekurbelten Seitenkörbe, und die Legenden Kobe Bryant und LeBron James imitierte. Elf, zwölf Jahre alt müsste er gewesen sein, schätzt er, der kleine Tristan, der damals auch noch Trompete spielte. An die NBA, die Sammelstelle der Basketballgenies, war damals nicht zu denken.
Heute ist Tristan da Silva 23 Jahre alt und erlebt sein erstes Wochenende der Stars gemeinsam mit seiner Mutter, einigen Freunden aus München – und natürlich LeBron James, der mit 40 immer noch aktiv ist. Der Münchner durfte an einem Showspiel der besten Jungprofis der Liga teilnehmen. Er nannte das ein „Zeichen des Respekts“ und es war noch deutlich mehr. Die Nominierung ist quasi das offizielle Zertifikat seiner NBA-Tauglichkeit.
Nach nur 52 Spielen hat er sich diesen Status erarbeitet. In Orlando, mitten in Florida, hat der Flügelspieler eine Rolle als der große Allzweck-Handwerker der Magic gefunden. Die meiste Zeit vernagelt er den Weg zum Korb, weil er ein exzellenter Verteidiger ist, der praktisch jeden Spielertyp aufhalten kann. Damit verdient man sich als Jungprofi Minuten, vor allem in Orlando bei einer der besten Abwehrreihen der Liga. Im Angriff schätzen sie ihn, weil er fast nie einen Fehler begeht, ein Deuter freier Räume ist, sich geschickt und unbewacht dorthin stiehlt. Beim Sieg in Toronto Anfang Januar war da Silva plötzlich bester Werfer mit 25 Punkten, stand die meisten Minuten auf dem Feld. Das wurde überhaupt erst nötig, weil die Orlando Magic seit Monaten von chronischem Verletzungspech heimgesucht werden. Auch ein Faktor, warum der junge Münchner im Schnitt bereits 25 Minuten auf dem Feld steht, womit nun wirklich nicht zu rechnen war.
Eine Saison in der NBA gleicht einer Abenteuerreise, bei der am Anfang niemand das Ziel und die Zwischenstopps kennt. Die Wanderschaften des Tristan da Silva enthalten bereits dermaßen viele wundervolle Episoden, dass er nun, zur Saisonpause im Februar, festhält: „Das alles ist immer noch ein bisschen surreal, dass ich mich selbst daran erinnern muss, hier zu sein.“ Kurz vor Weihnachten erlegte er Meister Boston mit dem entscheidenden Wurf, einem Dreier. Auf den wird er heute noch ständig angesprochen. Seitdem kennen auch die Größten unter der Großen seinen Namen.
Davor war er einfach nur ein Deutscher in Orlando, der dritte nach Franz und Moritz Wagner. „Deutsches Dreieck“ sagt sein Teamkollege Anthony Black, mit dem er gut befreundet ist. „Wir könnten das deutsche Nationalteam sein“, witzelt Black. Abseits der Halle treffen sich die drei Deutschen gelegentlich, zuletzt schauten sie sich den Super Bowl im Heim der Wagners an. Superstar Franz Wagner besorgte auch den rosafarbenen Einhorn-Rucksack, den da Silva stets auf dem Weg in die Umkleide zu tragen hat. Die Geschichte dahinter ist witzig. In allen Klubs müssen Neulinge derlei aberwitzige Utensilien tragen, so verlangt es die Tradition. Nur dachte bei den Magic niemand daran, den Münchner auszustatten. Erst die deutsche Journalistin Aurelia Rieke deckte den Missstand auf und beauftragte Franz Wagner.
Orlando, das kann man sagen, ist die perfekte Destination für Tristan da Silva. Vor Ort leben einige Brasilianer. Da Silva – sein Vater kommt aus dem Land – ist ihr Held. „Viele feuern uns an, es gibt sogar eine brasilianische Nacht“, sagt der Münchner. Die Brasilianer, hört man, würden ihn gerne in ihrer Nationalmannschaft sehen. Aber er hat sich für Deutschland entschieden. Außerdem ist da noch dieser Traum, mit seinem Bruder Oscar (FC Bayern München) zusammen zu spielen. Das dürfte am leichtesten in diesem Sommer umzusetzen sein. Es steht wieder eine Europameisterschaft an. Bundestrainer Alex Mumbru hätte ihn gerne dabei, hat sich schon gemeldet. „Konkrete Pläne habe ich noch keine“, sagt Tristan da Silva unserer Zeitung. Alles dreht sich derzeit ohnehin nur um die Magic, die als das große Überraschungsteam gestartet waren und sich seit Wochen im Tiefflug befinden. Die große Hoffnung ist, dass die All-Star-Pause für den Neustart sorgt – und Tristan da Silva den Wind des Wechsels aus San Francisco mitbringt.
ANDREAS MAYR