Deutsche Ski-Weltcupsiege haben mittlerweile Seltenheitswert. Die Zeiten, in denen Maria Höfl-Riesch, Felix Neureuther oder Viktoria Rebensburg in Reihe triumphierten, sind lange vorbei. Von Katja Seizinger, Hilde Gerg, Martin Ertl oder Markus Wasmeier gar nicht erst zu sprechen. So gesehen ist der Abfahrtssieg von Emma Aicher in Kvitfjell schon etwas Besonderes und Balsam für die geschundene Verbandsseele. Mit ihren erst 21 Jahren hat sie nun erreicht, wofür andere Jahre brauchen oder es – wie zum Beispiel Slalom-Weltmeister Frank Wörndl und Vize-Weltmeister Fritz Dopfer – nie schaffen.
Da Aicher die Speedstrecken ähnlich elegant bewältigt wie die Slalomkurse, könnte sie das deutsche Ski-Gesicht des kommenden Jahrzehnts werden. Zumal echte Allrounderinnen wie früher Riesch, Tina Maze oder in ihren Anfängen Lindsey Vonn ausgestorben sind. Oder anders gesagt: Durch die immer weiter voranschreitende Spezialisierung darf es diese Spezies eigentlich gar nicht mehr geben. Aicher beweist das Gegenteil und zaubert auf langen und kurzen Latten gleichermaßen.
Auch bei ihren TV-Auftritten hebt sich die Ski-Künstlerin ab. Positiv gesehen, könnte man den Interviews Kult-Charakter attestieren. Wer es negativer sehen will, würde sagen: Emma bekommt den Mund nicht auf. Freilich ist das nicht ihre Hauptaufgabe, aber auf der anderen Seite für alle Fans auch ein bisschen schade. Denn man würde gerne mehr wissen über die junge Frau mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Aufgewachsen im schwedischen Provinznest Sundsvall, wechselte sie dank ihres deutschen Vaters vor fünf Jahren zum DSV. Für den Verband, der ihr schon damals viel zutraute, ein Geschenk.
Mit Romed Baumann, der rot-weiß-rot gegen den Zebra-Anzug tauschte und im fortgeschrittenen Alter 2021 noch einmal WM-Silber gewann, hatte man auf Herren-Seite ähnlich gute Erfahrungen gemacht. Doch nicht alle Wechsel enden immer so märchenhaft, Jessica Hilzinger (27) und Roni Remme (29) kämpfen bis heute um den Anschluss.
Für Emma Aicher geht es nun darum, sich damit nicht zufriedenzugeben. Wie schnell die Welt sich dreht, gerade bei Viel-Startern, hat ihr Super-G-Aus am Sonntag gezeigt. Ihre umfassende Eigen-Analyse: „Abhaken, daraus lernen und beim nächsten Mal wieder besser machen.“