BOB

Blut allein reicht nicht aus

von Redaktion

Adam Ammour hofft auf eine WM-Medaille – Bruder Issam darf nur noch im „Vierer“ ran

Adam Ammour (M.) mit Nick Stadelmann (hinten), Issam Ammour (li.) und Rupert Schenk (re.). © IMAGO/Memmler

München – Die Dramaturgie für die Bob-Saison war schon gesetzt, als noch nicht mal der Herbst vorüber war. Fünf Monate ist es an diesem Wochenende her, als die verbalen Fetzen zwischen Johannes Lochner und Francesco Friedrich flogen, weil es unterschiedliche Ansichten zu den Abwerbeversuchen eines Anschiebers gegeben hatte. Das Duell der beiden deutschen Alphatiere war seitdem noch brisanter – und ist es auch, wenn ab diesem Wochenende in Lake Placid um die WM-Medaillen der vorolympischen Saison gefahren wird. Hansi gegen Franz, Franz gegen Hansi – aber war da nicht noch jemand? Adam Ammour sagt lachend: „Das dritte Team sind wir.“

Der 23-Jährige kann im Gespräch mit unserer Zeitung so gut wie von vorne beginnen. Denn auch, wenn er als Junioren-Weltmeister von 2023 längst Fuß in der Weltspitze gefasst hat und im vergangenen Jahr bei der Heim-WM in Winterberg sogar zwei Medaillen holte: Geht es um die deutschen Bobs, geht es stets um die beiden Alphatiere. „Der Fokus liegt schon eher auf ihnen“, sagt Ammour, fügt aber schnell hinzu: „Ich habe damit kein Problem.“ Ganz in Ruhe zu arbeiten, hat Vorteile, Schritt für Schritt kann der jüngste deutsche Pilot die Lücke zu den WM-Favoriten so schließen. Für die Titelkämpfe in den USA ist sein Motto daher: „Wir haben nichts zu verlieren. Wir können nur positiv überraschen.“

Was erstmal danach klingt, heißt allerdings nicht, dass Ammour als kompletter Außenseiter ins Rennen geht. Zwar lief die abgelaufene Weltcup-Saison nicht ganz so gut wie die vergangene, sechs Podestplätze und Rang vier im Gesamtweltcup stehen dennoch in der Statistik. Der Ex-Turner ist vergangene Woche mit gemischten Gefühlen über den großen Teich geflogen. „Athletisch“ hänge man heuer „etwas hinterher“, sagt er, auch das Material gelte es mit Blick auf den Weg zu den Olympischen Spielen in Cortina d‘Ampezzo noch „besser abzustimmen“. Auf die Schnelle sei beides nicht zu 100 Prozent möglich, dennoch fühlt Ammour sich gut vorbereitet. Man hört aus seinem Mund viele selbstbewusste Sätze, aber eben auch: „Die Angst ist groß, keine Medaille zu holen.“

Dass Ammour, Sohn einer Französin und eines Algeriers, eine klare Erwartungshaltung hat, liegt an seiner Vita. „Der Sprung in die Weltspitze ging schnell“, sagt er: „Vielleicht habe ich einfach Glück gehabt.“ Wahrscheinlicher aber wirkt sich die gelungene Mischung aus Talent und Anlagen, die er mit in den Eiskanal brachte, positiv aus. Sein Bruder Issam, acht Jahre älter und bereits seit 2015 als Anschieber aktiv, brachte ihn vor gut fünf Jahren nach einer Handverletzung von den Geräten in der Turnhalle in den Bob. Jetzt leben die Geschwister den Traum von einer Olympia-Medaille gemeinsam – wenngleich Issam Ammour durch Leistung überzeugen muss. Blut allein reicht nicht aus.

„Ich kann nicht einfach sagen: Ich will mit meinem Bruder fahren“, sagt Adam Ammour, der im Laufe des Winters diversen Teammitgliedern die Chance gab, ihn maximal schnell in die Spur zu bringen. In Lake Placid wird die Wahl im Zweier auf Benedikt Hartel fallen, Issam Ammour ist dafür am kommenden Wochenende im Viererbob dabei. Dass sein Bruder „hinter der Entscheidung steht“, sagt Adam Ammour, spreche „für unser Verhältnis“. Sie seien „unterschiedlich“, aber die Familie Ammour ist generell eng verbandelt. Alle, also auch noch ein weiterer Bruder – und die kleine Schwester. Eine Prinzessin? Ammour lacht: „Das haben Sie genau richtig gesagt.“

In Lake Placid sind Adam und Issam allerdings auf sich alleine gestellt. Und sie lernen, so sagt der Boss des „Teams Ammour“ jeden Tag dazu. Vor allem auf dem Materialsektor fehlt die Erfahrung, zudem müsse er auf der anspruchsvollen Bahn „die Ideallinie finden“. Gelingt das, sagt er lachend, kann auch das gelingen, was der „Dritte“ im deutschen Bunde am liebsten macht: „Es ist immer cool, aus dem Schatten der beiden zu kommen.“ Wenn man ihm noch ein bisschen Zeit gibt – da sind sich alle Beobachter sicher –, hat Ammour das Potenzial, die Dramaturgie zu beeinflussen.
HANNA RAIF

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