Jonathan Burkardt und Tim Kleindienst (r.). © IMAGO
Mailand – Es wird ein großer Fußballabend werden in Mailand, dafür sorgt allein schon das Stadion im Stadtteil San Siro. Ein alter, aber doch zeitgemäß gebliebener Quader mit seinen spiralartigen Aufgängen an der Seite, ein Monument der Architektur. Julian Nagelsmann weiß, dass in diesem Ambiente die Gedanken zurückreisen werden in den vergangenen Sommer, zum letzten Spiel der Kategorie Klassiker: Deutschland gegen Spanien im EM-Viertelfinale. Wenn es ein Spiel gibt, das man noch einmal bestreiten wollen würde, dann dieses. Wegen des damals nicht geahndeten Handspiels des spanischen Verteidigers Cuccurella – aber auch wegen des Gefühls, das den Juli-Abend in Stuttgart begleitete: „Dass wir bereit sind, die ganz großen Ziele zu erreichen.“ Nach dem unglücklichen Ausscheiden hatte der junge Bundestrainer gesagt, man wolle 2026 Weltmeister werden. Er formulierte es forsch: „Schade, dass man bis dahin so lange warten muss.“
Am Donnerstag (20.45 Uhr/ARD) im Giuseppe-Meazza-Stadion und am Sonntag (20.45 Uhr) im ebenso wuchtigen Dortmunder Westfalenstadion wird sich zeigen, ob die DFB-Elf den Prozess der Festigung fortsetzt. Nach dem traumatischen Aus bei der Heim-EM blieb sie in den folgenden sechs Nations-League-Partien ungeschlagen, sie spielte beschwingt auf gegen die unangenehmen Ungarn (5:0) und gegen Bosnien-Herzegowina (7:0). Ausfälle scheinen die Leistung nicht zu beeinträchtigen, es rücken dann einfach Neuentdeckungen nach wie der Mönchengladbacher Tim Kleindienst.
Es hat ein Run auf die Nationalmannschaft eingesetzt, wie lange nicht zu verspüren war. „Die Energie ist jetzt eine ganz andere“, sagt Nadien Amiri (28). Seine DFB-Pause währte vom November 2020 bis jetzt, viereinhalb Jahre. Bei seinem letzten Länderspiel war er Leverkusener, jetzt ist er Mainzer – und auch in dieser Konstellation zeigt sich die Veränderung. Die DFB-Eliteauswahl hat sich den kleineren Vereinen geöffnet, so stellt seit der EM der VfB Stuttgart eine größere Fraktion, nun ist der Tabellendritte Mainz mit zwei Akteuren – Amiri und Jonathan Burkardt – repräsentiert. „Manchmal muss man vom Clubnamen einen Schritt zurückgehen, um wieder Schritte nach vorne zu machen“, erläutert Nagelsmann den Karriereverlauf von Amiri, der sich für eine Position anbietet, auf der eh das große Casting läuft: „Am wohlsten fühle ich mich auf der Sechs. Aber ich kann auch Achter spielen.“ Pascal Groß und Robert Andrich, zudem Leon Goretzka und Angelo Stiller sind da die aktuellen Aspiranten, mittelfristig stößt auch der erkrankte Aleksandar Pavlovic wieder dazu. „Es fällt den Spielern schwerer als noch vor eineinhalb oder zwei Jahren, zu akzeptieren, wenn sie nicht dabei sind“, diese Erfahrung hat Nagelsmann gemacht.
Früher waren Nationalspieler mit dem Verein international vertreten oder wenigstens unangefochtene Stammspieler in der Liga. Hier muss der Bundestrainer derzeit Abstriche machen: „Wir haben in der Spitze einen guten Kader, aber in der Breite Nachholbedarf.“ Aus der Rubrik Weltklasse fehlt Offensivgenie Florian Wirtz, Torhüter Marc-Andre ter Stegen und Stürmer Kai Havertz. Ohne sie geht die deutsche Elf also schon geschwächt in zwei Spiele, nach denen sie den besten vier Mannschaften Europas angehören will.
Das „Final Four“ der Nations League gilt als Ziel. Und wenn sich auch Spanien (gegen die Niederlande) qualifiziert, könnte die Geschichte mit Cuccurellas Hand am Ball neu verhandelt werden. Das Turnier fände in Deutschland statt, und im Sommer 2025 wäre auf einmal 2024.
GÜNTER KLEIN