Löwen-Kult aus der Kurve

von Redaktion

Mal charmant, mal chaotisch: Seit 2012 senden zwei Fans einen Podcast aus der Halbzeitpause

Halbwissen in der Halbzeitpause: Der Podcast von „Harry & Flo“. © neun30

München – Mach keine halben Sachen! Mit diesem Satz werden die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens konfrontiert. Doch wie das so ist mit gut gemeinten Ratschlägen: Sie werden ignoriert – im Falle von Harry & Flo sogar umgedeutet.

Mal halblang machen trifft es eher, was sich die beiden Löwen-Fans auf die Fahne geschrieben haben. neun30 steht auf ihrer Fahne: 930 – die Hälfte von 1860. Seit 13 (!) Jahren betreiben die beiden Seeshaupter einen Podcast mit diesem ungewöhnlichen Namen, denn halbe Sachen sind bei Harry & Flo Programm. Sie senden aus der Halbzeitpause von 1860-Spielen – live aus der Westkurve, wo sie ihr „Halbwissen“ (O-Ton) ungefiltert aufzeichnen.

Spielstände? Fachwissen? Alles nicht so wichtig für die einstigen Groundhopper, die auf diese Weise Audio-Stadionerinnerungen sammeln – 500 bis 1000 treue Stammhörer sind regelmäßig über Spotify dabei. Die aktuellste von bisher 173 Folgen, aufgezeichnet in der Pause des Bielefeld-Spiels am 21. Februar, erhielt einen Warnhinweis. „Obacht“, steht in der Beschreibungsbox: „Diese Folge ist wild. Denn es kommt ganz viel zusammen.“ Viel bierselige Stimmung in der Kurve, wo Flo den Cabrio-Löwen begegnet, einer Horde von gleichgesinnten Ultras. „Alle sind voll und toll“, grölt einer ins Mikro: „Der ganze Zaun hängt voller Bier. Es ist Freitagabend. Was willst du anderes erwarten?“ Gefolgt von einer Halbzeitanalyse, die ein Spezl aus Block J sendet. „Es macht relativ vui Spaß zum Zuschauen“, analysiert der Hansi beim Pausenstand von 0:1: „Sie sind willig, sie kämpfen, sie spielen definitiv nicht wie ein Absteiger.“ Das „ganz, ganz böse“ Gegentor schildert er auch noch. Als die beiden anderen fallen, die zum 0:3-Endstand führen, ist der Podcast längst im Kasten. Wer’s nicht mitbekommen hat, kann‘s ja irgendwo nachlesen. Bei Harry & Flo geht es eher darum, „Atmo“ rüberzubringen.

Wie kommt man auf so eine Idee? Die Halbzeit der Länderspielpause ist ein guter Anlass, Harry & Flo zum Interview zu treffen. Der gemeinsame Erwerb einer Dauerkarte, erfährt man, dient den beiden seit dem Ende der aktiven Groundhopper-Zeit als Freundschaftskitt. Beide sind jetzt Mitte bis Ende 40, beruflich und familiär eingespannt – da ist der Podcast ein guter Anlass, sich regelmäßig zu treffen und auszutauschen. Harry, der auf dem Land wohnt, wundert sich immer noch, dass ihnen so viele Leute dabei zuhören. „Ganz ehrlich: Warum man so ein Halbzeitgespräch nicht einfach führt, sondern anderen zur Verfügung stellt? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Meine Antwort darauf ist: Weil der Flo beruflich was mit Medien macht – da gehört das anscheinend dazu.“ Medienprofi Flo sieht es so: „Wenn ich im Urlaub bin und so Minuten-Schnipsel aus der Kurve zugeschickt bekomme, dann ist das geiler Content. Das ist genau das Stadion-Intensiverlebnis, das ich vermisse, wenn ich selber nicht hingehen kann.“ Aus seiner Sicht ist ihr Podcast „einer der vielen Bausteine, die die aktive Fanszene der Löwen so besonders machen“. Überflüssig zu erwähnen: Beide sind stramm auf e.V.-Kurs und gegen Ismaik. Ist auch mit ein Grund dafür, dass sie zurückhaltend sind, was Fotos und das Veröffentlichen ihrer Klarnamen angeht.

Folge 173 endet übrigens mit einer Wahlempfehlung („Alles außer schwarz und blau“) – und mit einer netten Rubrik, bei der Flos achtjähriger Sohn die „Hui & Pfui“-Nachrichten aus dem Fanzine „Brunnenmiller“ vorliest. In Kürze, scherzt er, müssen die Kinder von Harry übernehmen – die sind jünger und können den Dingsda-Charme noch länger rüberbringen. Wie überhaupt beide kein bisschen podcastmüde wirken. Es ist ein liebenswertes Hobby, das beide vermutlich noch lange betreiben werden. Geht man davon aus, dass mit 63 das Podcast-Rentenalter erreicht ist, befindet sich Flo gerade kurz vor der Halbzeitpause.
ULI KELLNER

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