Legendär, aber baufällig: Das Old Trafford, die Heimat von Manchester United, hat ausgedient. © Peter Byrne/dpa
Club-Miteigentümer Jim Ratcliffe. © IMAGO
Zirkuszelt: So soll das neue Stadion von Manchester United aussehen. © Foster + Partners/dpa
Manchester – Die Mitteilung machte blitzschnell die Runde. Als Manchester United kürzlich seine Vision für ein neues Stadion veröffentlichte, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer über die weltweiten Nachrichtenkanäle. Zu groß ist der Club freilich noch immer, zu spektakulär das Vorhaben, als dass die Pläne irgendwie hätten untergehen können. 100 000 Zuschauer soll die Arena fassen, dazu einen riesigen Vorplatz erhalten, der von einem von drei 100 Meter hohen Masten gehaltenen Zeltdach überspannt wird. Das Bier und die Pommes vor dem Spiel – all das soll nicht mehr vor dem Stadion in den umliegenden Pubs, sondern künftig im direkten Umfeld konsumiert und in die Taschen des Clubs gewirtschaftet werden.
In der Mitteilung verspricht Club-Miteigentümer Jim Ratcliffe nichts Geringeres als das „beste Fußballstadion der Welt“. Wie die BBC berichtet, soll der Umbau des ganzen Geländes zwei Milliarden Pfund (circa 2,3 Milliarden Euro) kosten und knapp fünf Jahre dauern. Nur: wie das Großprojekt des hoch verschuldeten Clubs finanziert werden soll, ist bislang nicht bekannt. Und damit ist man auch schon beim Grund für den Neubau, aber auch den Problemen des Clubs angelangt.
Denn die einst so stolze Fußball-Weltmarke Manchester United – sie ist zur Lachnummer verkommen. Oder, um es wie Edelfan und YouTuber Mark Goldbridge in Bezug auf die Stadionpläne auszudrücken: „Ich denke, das passt ganz gut. Sieht aus wie ein Zirkuszelt und wir werden wie eines geführt.“
Die Red Devils, die von 1986 bis 2013 mit Trainerlegende Sir Alex Ferguson und Stars wie David Beckham oder Ryan Giggs die Sterne vom Himmel spielten (13 Meisterschaften, zwei Champions-League-Titel), sind in der Hölle angekommen. Und zwar auf allen Ebenen.
Da ist zum einen die marode Infrastruktur. Das Renovieren oder Verlassen des legendären, aber seit Jahren baufälligen Old Trafford, hatte schon längere Zeit im Raum gestanden. Erst im Dezember hatte die „Daily Mail“ über eine Mäuseplage in Firmensuiten und einem Essenskiosk berichtet. Das 115 Jahre alte Stadion habe laut Ratcliffe „hervorragende Dienste“ geleistet, es bliebe jedoch mittlerweile „hinter den besten Arenen des Weltsports zurück“. Mit anderen Worten: Obwohl es noch immer Ertrag abwirft, ist das Old Trafford nicht mehr wirtschaftlich genug. Das ganz große Geld lässt sich mit ihm nach Ansicht der Haupteigentümer, der Glazer-Familie, nicht mehr verdienen. Das zeigt gewissermaßen auch ein Blick auf die Zahlen. Im aktuellen Finanzreport der UEFA wird deutlich: Clubs wie Tottenham Hotspur, Juventus Turin, Atlético Madrid oder Galatasaray Istanbul, die in komplett neue Stadien investierten, konnten ihre Ticketeinnahmen teils erheblich steigern. Allen voran Uniteds Premier-League-Konkurrent Tottenham. Betrug der Gewinn der Londoner aus Ticketverkäufen 2009 nur 33 Mio. Euro, schnellte er dank einer hypermodernen neuen Arena bis 2024 auf satte 123 Mio. Euro nach oben. Gigantisches Potenzial, das auch United erschließen will. Der Club stagniert nach zwischenzeitlichen Verlusten – wenn auch auf hohem Niveau – bei aktuell 129 Mio. Euro. Immerhin Platz vier (hinter Real Madrid, Paris Saint-Germain und dem FC Arsenal) im europäischen Vergleich, aber für United, das für sich selbst den Anspruch hat, ein Weltclub zu sein, eben nicht gut genug.
Hinzu kommt: Die finanzielle Not ist groß. Mit einer Milliarde Pfund Verbindlichkeiten steckt der Club knietief in den roten Zahlen. „Manchester United wäre bis zum Ende dieses Jahres das Geld ausgegangen, selbst nachdem ich 300 Millionen US-Dollar investiert habe und wenn wir im Sommer keine neuen Spieler kaufen“, schockierte Ratcliff, Milliardär und Gründer des Chemieunternehmens INEOS, kürzlich die Fans. Die Folge: Nachdem der Verein bereits im Vorjahr seine Belegschaft um 250 Stellen verkleinert hatte, werden jetzt noch einmal 200 weitere Jobs abgebaut. Zusätzlich strich United auch noch das kostenlose Mittagessen für seine Mitarbeiter und erhöhte die Ticketpreise.
Dabei hat der Club eigentlich eher kein Einnahmen-, sondern vor allem ein Ausgabenproblem. Finanzexperte Kieran Maguire brachte die haarsträubende Finanzpolitik in „The Athletic“ auf den Punkt: „Sie leben einen Champions-League-Lebensstil mit Einnahmen aus der Europa League.“ Und in dieser Hinsicht stecken die Red Devils in einem Teufelskreis. Überteuert eingekaufte Stars, die bei ihren vorherigen Clubs ablieferten, mutieren bei United zu Rohrkrepierern. Frag nach beim Brasilianer Antony, für den Manchester 2022 Ajax Amsterdam mit fast schon wahnwitzigen 95 Mio. Euro zuschüttete. Während er sich im rauen englischen Fußball nie durchsetzen konnte, glänzt der Flügelspieler derzeit als Leihspieler bei Real Betis in Spanien – während United natürlich weiterhin einen Großteil seines Gehalts zahlt. Rechnet man alle Ablösezahlungen für Spieler wie Ex-Bayern-Reserve-Stürmer Joshua Zirkzee (42,5 Mio. Euro) zusammen, verbrannte United für den aktuellen Kader unglaubliche 1,098 Milliarden Euro – kein anderer Verein gab mehr aus. Obwohl die Red Devils mehrfach die Champions League und damit die dicken Geldtöpfe verpasste, beläuft sich das Transferdefizit allein seit 2020 auf 742 Mio. Euro. Der „Lohn“? Nach 29 Spieltagen steht United mit 37 Punkten auf einem beschämenden 13. Platz. Immerhin: Unter Ratcliff, der aktuell 28,94 Prozent der Anteile hält, scheint die Einsicht zu bestehen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. „Einige Spieler sind nicht gut genug, und einige sind wahrscheinlich überbezahlt“, kritisierte der 72-Jährige die Einkaufspolitik. Es benötige schließlich „Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen und an einen neuen Ort in der Zukunft zu gelangen.“ Die liegt im Zirkuszelt – nur der Zirkus selbst, der kann nach Meinung der Fans gerne draußen bleiben.
JOHANNES OHR