Der übliche Reflex der Branche macht vor niemandem Halt. Und so konnte man in den Gazetten des Landes am Tag nach dem Dreierpack von Nick Woltemade im U21-Test gegen Spanien direkt neue Spitznamen für den Stuttgarter Stürmer lesen. Als „Schweden-Zlatan“ ist der 23-Jährige schon länger bekannt, seit Mittwoch darf man ihn nun auch wahlweise „Woltemessi“ nennen. Durchaus kreativ, aber natürlich: vollkommen übertrieben. Was nichts an der Tatsache ändert, dass die Sturm-Explosion in den DFB-Mannschaften eine gute Nachricht für die stolze Fußballnation ist. Wir sind wieder wer – und zwar auch ganz vorne.
Dazu reicht es freilich nicht, ein Freundschaftsspiel einer U-Mannschaft heranzuziehen. Die Geschichte von Nick Woltemade, der sich mit drei grundverschiedenen Treffern binnen 90 Minuten für höhere Aufgaben empfohlen hat, ist wunderbar – die Namen Tim Kleindienst, Deniz Undav und Niclas Füllkrug sollte man aber genauso in die Analyse einbeziehen. Sie gehen vielleicht noch nicht allen so selbstverständlich über die Lippen wie einst Gerd Müller, Rudi Völler, Jürgen Klinsmann, Uwe Seeler oder Miroslav Klose. Aber sie alle haben das Potenzial, die Lücke im einstigen Stürmer-Land Deutschland so zu füllen, dass die „falsche Neun“ endgültig Geschichte ist.
Allein die Quoten sprechen Bände. Kleindienst traf in den beiden Nations-League-Spielen gegen Italien zweimal und steht bei stolzen vier Toren in sechs Länderspielen, Undav und Füllkrug haben ebenso starke Statistiken. Während Joachim Löw also aus Mangel an Kandidaten sogar ohne Sturmspitze spielen ließ (und die DFB-Elf nach und nach an Qualität verlor), hat Julian Nagelsmann gleich mehrere heiße Sturmeisen im Feuer. Zählt man dann noch Jonathan Burkardt und eben Woltemade dazu, darf man mit Blick auf eine komplette Offensive um Jamal Musiala und Florian Wirtz doch wieder von Titeln träumen, oder?!
Die Bandbreite immerhin stimmt: Kleindienst (29), Undav (28) und Füllkrug (32) können im Hier und Jetzt helfen, Burkardt (24) und Woltemade (23) als Versprechen an die Zukunft gesehen werden. Zieht man dann die jüngste Aussage von Harry Kane hinzu, der sich mit 31 erst „vor der zweiten Hälfte meiner Karriere“ sieht, hat Fußballland Deutschland für knapp zwei Jahrzehnte ausgesorgt. Na gut… auch das: leicht übertrieben. Reflex der Branche.