Lochner spekuliert auf den Gesamtweltcup. © IMAGO
Bessere Zeiten: Wulff verhalf Friedrich zu Saisonbeginn noch zu mehreren Siegen. © IMAGO
München – Der Bob-Zirkus richtet die Augen aktuell auf Cortina d‘Ampezzo, auch Johannes Lochner. Zwar ist der Vize-Weltmeister nicht unter jenen Bobs, die für die Freigabe der Olympia-Bahn ausgewählt wurden, eine Reise nach Italien ist in den kommenden Monaten aber trotzdem eingeplant. Die Strecke vom Königssee ist nicht allzu weit, und man will ja schon wissen, wo es in rund 300 Tagen zum Showdown kommt. Das ewige Duell Lochner gegen Dominator Francesco Friedrich wird im kommenden Winter in den Showdown gehen – aber: bis dahin könnte auch rückblickend noch Einiges passieren.
Knapp zwei Wochen ist die WM in Lake Placid inzwischen vorbei. Sie hat wunderbare Bilder produziert, deutsche Medaillen am Fließband. Aber sie wurde hinter den Kulissen von einem Thema begleitet, das im BSD-Lager seit Dezember bewusst klein gehalten wird. Der Dopingfall Simon Wulff, also des designierten Olympia-Anschiebers von Doppel-Weltmeister Friedrich, ist bis heute nicht aufgeklärt, es gilt trotz positiver A- und B-Probe auf das verbotene Stimulanzmittel Methylhexanamin die Unschuldsvermutung. Und dennoch wird im Bob-Lager freilich getuschelt. Erst recht, seitdem mehrere Verbände in Lake Placid eine anonyme E-Mail erhalten haben, die die verbreiteten Bedenken schonungslos offenlegt.
„Wir finden, dass ein Statement überfällig ist“, schreiben die anonymen „Freunde des Bobsports“ in dem Dokument, das unserer Zeitung vorliegt, und fragen konkret: „Sollte man das so hinnehmen, dass man keinerlei Informationen zu diesem Fall mehr hört bzw. nur äußerst wenige Informationen hierzu überhaupt gab?“ Dass das Team Friedrich bisher „keine Konsequenzen“ erfahren musste, stellen die Absender als unfair dar und spielen explizit auf den optimalen Startplatz in den WM-Rennen an, den Friedrich als Gesamtweltcupsieger freilich für sich beanspruchen durfte. Wären die beiden Zweier-.Weltcups und der Vierer-Weltcup, in denen Wulff nach seinem positiven Befund von Altenberg noch gestartet war, aus Friedrichs Ergebnissen gestrichen worden, hätte der Olympiasieger mit schlechterer Startnummer auf langsameren Eis womöglich nicht erneut triumphiert. Viel Konjunktiv – oder doch die Wahrheit?
Thomas Schwab muss schmunzeln, als er mit den Aussagen konfrontiert wird. Der BSD-Boss kennt die Mail freilich, aber er sagt: „Wer den Franz aufhalten möchte, kommt mit Startnummern nicht weiter.“ Mag heißen: das WM-Ergebnis wird bestehen bleiben, allerdings hört man aus Schwabs Worten auch heraus, dass er in der Weltcup-Wertung mit Konsequenzen für das Team Friedrich rechnet. „Der Gesamtsieg wird ihm im Fall der Bestätigung des Dopingfalls wahrscheinlich nicht bestehen bleiben“, sagt der Ex-Rodler. Lochner, aktuell in allen drei Wertungen Zweiter, würde dann nachträglich zum Mann der Saison.
Auch im Lager des Berchtesgadeners geht man von diesem Szenario aus. Schwab rechnet „Mitte, Ende April“ mit einem Urteil. Wulff und sein Anwalt lassen derzeit auf eigene Kosten eingenommene Nahrungsmittel analysieren, Schwab spricht auch von „Haarproben“. Man sucht einen Beweis dafür, dass sich das verbotene Mittel unwissentlich angehäuft hat. Was die Szene aber umtreibt: der Imageverlust für den Bobsport. Bei der WM soll es im Team des Briten Brad Hall einen Dopingfall gegeben haben, mit harten Substanzen. Schwab sieht zwar „kein gängiges Muster“, und trotzdem hat er derzeit in Cortina sicher auch Zeilen aus besagter E-Mail im Kopf. Unter anderem: „Die Sportfans wollen Fairness und vor allem einen klaren Umgang mit Doping!“
HANNA RAIF