Nur ein kleiner Teil von Costas großer Büchersammlung.
Gegen Leonardo Costa (r.) stand unser Redakteur schon nach wenigen Zügen auf verlorenem Posten. © Costa (2)
München – Leonardo Costa gilt als eines der größten deutschen Schachtalente und das bewies der 17-jährige Münchner zuletzt wieder bei der U20-Weltmeisterschaft in Montenegro. Als einer der jüngsten Teilnehmer übertraf er alle Erwartungen und hatte in der letzten Partie sogar die Chance auf eine Medaille. Doch hier hatte er sich „zu viel Druck gemacht und deswegen nicht so gut gespielt“, analysierte der im Stadtteil Perlach wohnende Costa nach seiner einzigen Niederlage, wodurch er auf den achten Platz abrutschte.
Im Mai wird die Nachwuchshoffnung im Rahmen der deutschen Meisterschaft in München auf die nationale Elite treffen – unter anderem auch auf Vincent Keymer (20). Der Hamburger ist mittlerweile in der Weltspitze angekommen, feierte im Februar seinen bisher größten Triumph mit dem Sieg beim Freestyle-Chess-Turnier, bei dem er auch Superstar Magnus Carlsen aus dem Weg räumte. „Die absolute Klasse wie Vinz mit 17 hat er nicht“, ordnet Nachwuchs-Bundestrainer Bernd Vökler im Gespräch mit unserer Zeitung ein, aber: Der Großmeistertitel sei nur eine Frage der Zeit, „in spätestens einem halben Jahr“ prophezeit Vökler seinem Schützling die höchste Auszeichnung im Schach.
Dass ein gewisses Talent in ihm schlummert, erkannte nicht nur sein Vater Vincenzo, der vor etwa 20 Jahren von Italien nach Deutschland gezogen war, bei einem U14-Schachturnier: Der junge Leonardo gewann alle fünf Partien – mit gerade einmal fünf Jahren! Mit 14 spielte er bereits in der Schach-Bundesliga der Erwachsenen, 2024 wurde er Dritter bei der U16-Weltmeisterschaft.
Nach zwei Jahren beim Hamburger Schachklub wird Costa ab Sommer wieder für den gerade erst in die erste Liga aufgestiegenen Zugzwang München am Brett sitzen. „Die lange Anreise“ sei der Grund für Leonardo, der in der laufenden Saison an zehn von zwölf Spieltagen eingesetzt wurde und bei drei Siegen und sechs Remisen nur eine Niederlage hinnehmen musste.
Für ein Bundesliga-Wochenende fehlte der Gymnasiast aufgrund der Anreise einen Tag in der Schule. Ein Dorn im Auge von Vater Vincenzo. „In den vergangenen drei Jahren hatte ich im Schnitt so etwa 30 Fehltage aufgrund von Schach“, schätzt der Elftklässler. Leistungsnachweise und Schulstoff muss er immer wieder selbst nachholen. „Aber ich bin da sehr selbstständig.“ Auf die Frage, ob er erst sein Abi erreicht oder die letzten beiden Normen für den GM-Titel, antwortete er selbstbewusst: „Auf jeden Fall den Großmeistertitel! Wichtig ist bloß, dass ich meine Nerven behalte.“
Denn der Leistungsdruck ist hoch. Schließlich wird Costa auch vom in der Szene als langjähriger Förderer bekannten Münchner Roman Krulich unterstützt. Er finanziert die monatlichen sieben bis achtstündigen Trainingseinheiten mit Großmeister Pawel Eljanow (einst die Nummer sechs der Welt). „Er hat mir vor allem viel von seinem außergewöhnlichen Stellungsverständnis beigebracht“, berichtet Costa. Ein Blick in die Bücherregale in seiner Wohnung lässt vermuten, wie sehr Schach im Mittelpunkt seines Lebens steht. Analysen von Bobby Fischer oder Reihen über Schachlogik stehen zwischen Bücher über Eröffnungsvarianten. Gelesen hat er noch nicht alle, „ansonsten wäre ich schon Magnus Carlsen“, witzelt er.
In der Szene kommen immer wieder Diskussionen auf, dass Schach in seiner klassischen Form zu remislastig sei. Das sieht Leonardo, der seine Stärken im analytischen Mittelspiel hat, nicht so: „Ich finde es faszinierend, welche Prinzipien angewendet werden müssen, um den besten Zug zu finden. Es ist immer eine Herausforderung, weil es verschiedene Denkprozesse gibt, die man während einer Partie verwenden kann. Die Komplexität ist einfach herausragend“, gerät er ins Schwärmen.
Kommendes Wochenende will er in der österreichischen Bundesliga wieder die besten Züge finden. Hier könnte er die nächste Norm für seinen Großmeistertitel erreichen – wenn seine Nerven mitspielen.
ALEXANDER VORMSTEIN