„Das wird eine enge Kiste“

von Redaktion

Michael Rummenigge über die Bayern-Mailand-Dortmund-Barca-Festtage

Yann Bisseck, DFB-Spieler in Mailands Diensten. © Gambarini/dpa

1985 im Inter-Trikot: Bruder Karl-Heinz Rummenigge. © IMAGO/Rudel

Michael Rummenigge, Ex-Bayern und Ex-Dortmund. © Imago

Gefährliche Offensive: Die Inter-Stars Marcus Thuram, Lautaro Martinez und Hakan Calhanoglu. © IMAGO/Petrussi

Was für eine Fußballwoche! Erst treffen Bayern und Dortmund in der Königsklasse auf Inter und Barça, dann treffen FCB und BVB in der Bundesliga aufeinander. Michael Rummenigge (61), der für beide Clubs auflief, blickt in unserer Zeitung voraus:

Herr Rummenigge, Bayern-Inter, Barca-Dortmund, Bayern-Dortmund – auf welches Spiel freuen Sie sich am meisten?

Da kann ich mich nicht entscheiden, weil ich mich auf alle freue. Das ist doch der Hammer! Bayern gegen Mailand, das ist eines der brutalsten Duelle überhaupt. Der italienische Meister gegen den kommenden Deutschen Meister, ein Klassiker der Europapokal-Geschichte. Dortmund in Barcelona ist für den ganzen Verein ein Highlight. Und dann noch das Spiel, das man lange „Clasico“ nannte. Ich tue das allerdings schon lange nicht mehr. Weil Dortmund in der Bundesliga seit Jahren schwächelt.

Fangen wir also von vorne an…

… mit Bayern – Inter. Bayern ist nicht der große Favorit, denn Inter kommt mit einer international erfahrenen, fast überalterten Mannschaft. Die wissen, wie es geht – und lassen wenige Tore zu, wie es in Italien üblich ist. Das wird eine enge Kiste. Trotzdem sage ich schon jetzt: Alles steht im Zeichen vom Finale dahoam. Und die Bayern machen es bisher sehr gut.

Kann die dezimierte Defensive der Bayern Spieler wie Martinez und Thuram vorne stoppen?

Vincent Kompany muss natürlich hoffen, dass alles zusammenpasst an diesem Tag – denn es sind schon enorm viele Ausfälle. Zudem wäre es wichtig, dass Manuel Neuer wenigstens im Rückspiel dabei ist. Es ist schon etwas anderes, wenn ein Stürmer auf ihn zuläuft als auf Jonas Urbig. Es wird auch auf Minjae Kim als Abwehrchef ankommen, dazu Eric Dier, der mir sehr gut gefällt, weil er zuverlässig ist. Die Geschwindigkeit von Alphonso Davies fehlt enorm, auch wenn Raphael Guerreiro ihn fußballerisch ersetzen kann. Hinten rechts würde ich auf Konrad Laimer setzen. Bitte keine Gedankenspiele mit Joshua Kimmich hinten rechts!

Auch Jamal Musiala war in starker Form und fehlt nun. Kommt es nun noch mehr auf die Führungsspieler an?

Auf Musialas individuelle Klasse verzichten zu müssen, ist extrem bitter. Aber führen werden sowieso andere. Kimmich und auch Goretzka, den ich übrigens wirklich mal loben muss. Für mich sind das die Schlüsselspieler der Achse, die über Neuer, Kim, Dier und dann vorne Harry Kane führt. Außerdem Leroy Sané, der jetzt immerhin langsam kommt.

Zu langsam?

Naja. Schauen Sie doch mal, gegen wen er seine Tore in der Bundesliga geschossen hat. Dazu erst ein Tor in der Champions-League-Saison. Ich halte ihn für einen guten Spieler. Aber wenn man ihn verlängert, dann bitte nicht zu den Bezügen wie aktuell.

Es ist fast Ironie des Schicksals, aber: Thomas Müller könnte nun eine wichtige Rolle einnehmen…

(lacht) Das kann er auch – zur Not auch von der Bank aus. Und man muss zu allem, was da in dieser Causa passiert, feststellen: Max Eberl hat sich da auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ich sag mal so: Leipzig und Gladbach sind nicht Bayern München…

Klingt nach harter Kritik.

Mal ehrlich: So etwas kann man doch weit im Vorfeld mit den Spielern und seinem Beraterteam besprechen. Thomas ist so lange im Verein, das Ganze kann man doch anders moderieren! Ich finde, dass man ihn noch brauchen könnte. Er ist kein Spieler mehr, der immer von Anfang an spielt, aber man kann ihn reinschmeißen – und alle haben Respekt und Muffe vor ihm. Allein durch die Präsenz auf dem Platz ruft er seine Leistung ab. Zudem ist er unglaublich wichtig in den Spielen, die jetzt kommen – vor allem, was die Motivation in der Kabine angeht.

Hätten Sie ihm die Rolle noch ein Jahr länger zugetraut?

Warum nicht? Als Backup-Spieler hätte man ihn noch gebrauchen können. Ich habe das selber erlebt, 1982/83, als klar war, dass Paul Breitner seine Karriere beendet. Er war nicht mehr dauerhaft im Training, weil er oft angeschlagen war. Aber er war da, wenn er gebraucht wurde. Thomas hat 700 Spiele für Bayern gemacht, der kennt keinen anderen Verein. Dann spielt er nicht für 17 Mio. Euro im Jahr, sondern für zehn oder acht. Eigentlich hätte man ihm diese Entscheidung überlassen müssen. Und ich bin sicher, man hätte eine Lösung gefunden.

Zumal man ihn ja dauerhaft im Club halten will…

So ist es. Und da gibt es zwei gute Beispiele: Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger. Die hätte man auch im Club halten sollen! Thomas muss ja nicht gleich Vorstandsvorsitzender werden. Aber er muss als Gesicht des FC Bayern unbedingt bleiben. Ihn zu verlieren, wäre fatal.

Womöglich schweißt der große Erfolg nochmal zusammen.

Mailand wird eine enge Kiste, dann dürfte aller Voraussicht nach – auch wenn ich Dortmund den Sieg von Herzen gönne – der FC Barcelona warten. Das 1:4 aus der Gruppenphase wäre dann Gold wert. Bayern würde sicher nicht noch mal so hoch stehen gegen Barca. Kompany macht einen guten Job, daher würde er diesen Fehler nicht nochmal machen. Das Duell gegen Hansi (Flick/d. Red.) auf dem Niveau wäre eine echte Reifeprüfung. Eine geile Geschichte! Vor allem, wenn ich überlege, wie Hansi damals zu uns kam…

Wie denn?

Als junger Spieler aus Sandhausen, 1985. Im Schatten von Lothar Matthäus, mir und anderen ist er mitgelaufen und hat alles aufgesaugt. Jetzt ist er ein super Trainer! Ich ziehe meinen Hut vor ihm.

Apropos achtziger Jahre: Stimmt es eigentlich, dass Ihr Bruder 1984 in Tennissocken nach Mailand reiste – und seitdem Feinstrümpfe trägt?

(lacht) Nicht nur das. Sein blonder Schopf wurde ein Kurzhaarschnitt. Dazu hat er unglaublich schnell Italienisch gelernt. Aber wissen Sie, was die Krönung ist? Er trägt seitdem nur noch Kniestrümpfe! Damit man kein Bein sieht, wenn die Hose im Sitzen hochrutscht. Das zieht er bis heute durch.

Lassen Sie uns weiter blicken: Kann der BVB Barcelona ernsthaft gefährden?

Normalerweise nicht. Aber wir haben es ja im letzten Jahr gesehen. Ich war gegen Atletico im Stadion. Eigentlich muss man da ausscheiden, kaum einer hat an den BVB geglaubt. Vielleicht können wir diesmal ähnliche Kräfte freisetzen, wobei das angesichts von fünf Spielern, die von damals fehlen, schwer wird. Man hat diese Abgänge völlig unterschätzt, auch von der Hierarchie in der Kabine. Trotzdem ist es möglich. Da erinnere ich auch gerne wieder an die Historie.

Bitte!

Schauen Sie sich mal die Bundesliga-Tabelle von 1974, 75, 76 an. Dreimal hat Bayern den Henkelpott geholt, aber in der Liga war man auch mal Zehnter. Manchmal kann man Dinge nicht in Worte fassen – und mit Sicherheit geht es auch um große Gegner, große Bühne, Einschaltquoten. Aber egal, was mit dem BVB in der Champions League passiert: Es ändert nichts daran, dass man sich bei 27 Punkten Rückstand mal Gedanken machen müsste. Die Probleme haben sich seit Jahren hochgeschaukelt, angefangen von der Halbwertszeit der Trainer bis hin zur Unruhe in der Führung. Und die Qualität bei Borussia Dortmund ist bei Weitem nicht so groß, wie alle gedacht haben. Bis auf Nico Schlotterbeck kann niemand den Bayern das Wasser reichen.

Und nun droht ein Jahr ohne Champions League.

Das trifft Dortmund enorm. Die Club-WM fängt noch ein wenig auf, aber grundsätzlich ist es eine Katastrophe. Wen interessiert denn hier in Dortmund die Europa League? Ich sage es Ihnen: niemanden!


INTERVIEW: HANNA RAIF

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