Kein Durchkommen: Aumann hatte einen echten „Sahnetag“ im San Siro. © imago
München – Beim „Wunder von Mailand“ 1988 (3:1 nach 0:2 im Viertelfinal-Hinspiel) war Torhüter Raimond Aumann der Held des FC Bayern. Sogar Inter-Star Lothar Matthäus biss sich an diesem „Sahnetag“ die Zähne am heute 61-Jährigen aus. Im Interview blickt Aumann zurück – und macht Mut Bayern für die Mammutaufgabe an diesem Mittwoch.
Herr Aumann, wurden Sie lange nicht mehr so oft als „Held von Mailand“ bezeichnet wie dieser Tage?
Mich holt es gerade schon ein, ja (lacht). Ich bin selbst überrascht, dass das immer noch so groß gespielt wird. Aber es war damals auch wirklich ein nicht so zu erwartendes Ergebnis im Rückspiel. Wir hatten im Hinspiel 0:2 verloren, dann gegen eine super bestückte italienische Mannschaft mit einem 3:1 zurückzukommen, war schon eine Sensation. Eine so große, dass sie heute noch im Gespräch ist und sogar als „Wunder von Mailand“ tituliert wird
Ist es denn zu viel gesagt – oder waren Sie der Held von Mailand?
Das müssen andere sagen. Ich kann nur sagen, dass die Freude schon mit Abpfiff riesig war. Wenn ich nach dem Spiel meines Lebens gefragt werde, geht es oft um diese Partie. Aber nicht nur, weil ich einen Lauf hatte, sondern weil wir als Kollektiv Unglaubliches geleistet haben. Es hatte ja vor dem Rückspiel kaum jemand einen Pfifferling auf uns gesetzt.
Alles lief unter dem Motto „Jetzt erst recht“?
Jupp (Heynckes/d.Red.) hat es super gemacht. Einen Tag nach dem Hinspiel haben wir uns geschworen, dass wir uns so teuer wie möglich verkaufen wollen in Mailand. Wir wussten, dass erst nach dem Schlusspfiff abgerechnet wird. Aus dem Nichts, das wir hatten, haben wir so das Unmögliche geschafft. Und ich traue auch jetzt unserer Mannschaft alles zu.
Würden Sie also Pfifferlinge auf die heutige Mannschaft setzen?
Absolut! Ein 1:2 ist schon mal besser als ein 0:2. Wir haben jetzt ein Endspiel in Mailand! Ein Tor Rückstand bedeutet gar nichts. Dass wir gewinnen müssen, macht es interessant. Und wenn ich den Spielverlauf in München ansehe, muss ich sagen: Inter stand defensiv auch nicht zu 100 Prozent sicher. Und wenn Harry Kane das 1:0 macht, hätte ich gerne gewusst, wie das Spiel ausgegangen wäre. Unsere Mannschaft hat sich trotz der Verletztenmisere teuer verkauft. Sie haben eine bessere Chance, als wir damals hatten.
Sie können der ultimative Mutmacher sein, also: wie besteht man im San Siro?
Die Stimmung wird bombastisch sein, außergewöhnlich. Aber alle Spieler leben doch für diese Spiele. Was gibt es Schöneres, als mit offenem Visier in so einem Stadion zu spielen? Auch wenn wir nicht Favorit sind: Die Chancen stehen gut.
Die Verhältnisse zwischen deutschen und italienischen Teams sind heute doch anders als 1988.
Die Mannschaft mit Lothar Matthäus und Andreas Brehme war außergewöhnlich. Der Unterschied zwischen einem erstklassigen Inter Mailand und einem erstklassigen Bayern München ist heute längst nicht mehr so groß wie damals. Beide Teams dominieren die Liga, Inter kommt über das Kollektiv, Stabilität, Disziplin und Erfahrung. Es wird die große Kunst sein, diese gefährliche Mischung zu bremsen. Ich möchte aber mal sehen, was passiert, wenn wir das 1:0 schießen sollten. Mir ist nicht bange.
Stimmt es eigentlich, dass Uli Hoeneß damals eine doppelte Prämie versprochen hat?
Das war typisch Uli – er hat immer gesagt: „Topspiel, das gibt es doppelte Prämie.“ So hat er uns heiß gemacht. Und in Mailand war alles sehr emotional – vor und nach dem Schlusspfiff. Wir haben in diesem Spiel alles verteidigt, was es zu verteidigen gab.
Zur Halbzeit stand es 3:1. Ab dem Moment kam es auf Sie an.
Der Spielverlauf hat uns in die Karten gespielt. Aber in der zweiten Halbzeit stand es dann Spitz auf Knopf. An so einem Tag muss auch als Torhüter alles passen, das musst du performen. Das habe ich.
Ein Sahnetag?
Auf jeden Fall. Und diesen Sahnetag in so einem Spiel zu haben, war ein Highlight. So etwas gelingt einem nicht so oft. Aber Torhüter sind dazu da, auch mal ein Spiel zu gewinnen.
Haben Sie das San Siro ruhig bekommen?
Ja! Beim 3:0 war es kurzfristig mal still. Aber in der zweiten Halbzeit ging es richtig ab. Das hat mich aber nicht beeindruckt, sondern angestachelt.
Wie ist es als Keeper, wenn man so einen Lauf hat – ist man dann wirklich unüberwindbar?
Du wächst mit jeder Parade, mit jedem Mal, in dem du deine Mannschaft am Leben hältst. Unüberwindbar ist niemand. Aber das Gefühl ist dann schon besonders.
Am Mittwoch wird wohl Jonas Urbig im Tor stehen. Wie blendet man die Kulisse San Siro aus?
Jonas kann das. Er macht seinen Job ausgezeichnet. Er ist super integriert, spielt gut mit, antizipiert sehr gut, ist gut mit dem Fuß. Der Junge hat viel Potenzial. Und für ihn gilt doch als junger Keeper umso mehr: Solche Spiele sind ein Traum. Er ist es ja inzwischen gewohnt, vor großen Kulissen zu spielen. San Siro wird ihn eher motivieren als einschüchtern.
Wird es nicht eine Art Reifeprüfung für ihn?
Das hört sich für mich zu negativ an. Ich traue ihm das zu. In solchen Spielen kann er sich in den Fokus spielen.
Die wichtigste Frage zum Schluss: Kann man in Mailand gut feiern?
Und wie. Als wir endlich aus der Kabine raus waren, haben wir unseren Sieg bis morgens genossen. Da ist die ganze Anspannung abgefallen. Ich kann sagen: In Italien kann man wunderbar feiern – und es gibt erstklassigen Rotwein (lacht).
INTERVIEW: HANNA RAIF