Ehrung im Hamburger Rathaus für Herrmann. © Privat
„Permanenter Rausch“, sagt Herrmann über das Segeln.
In 80 Tagen um die Welt: Boris Herrmann nach der zweiten Vendée-Globe-Teilnahme. © Malizia
Eine Weltumseglung hat es in sich. Und vor allem die Wochen danach, wie wir von Boris Herrmann erfahren. Da kam es auch schon mal vor, dass der zweifache Vendée-Globe-Teilnehmer beim Absagen eines Treffens mit Freunden (die Kraft fehlte) mit Handy in der Hand einschlief. Das passiert im Interview zum Glück nicht. Der 43-Jährige hat wieder alle Hände voll zu tun. Das Ocean Race muss geplant, ein neues Boot gebaut werden … Trotzdem nahm sich Herrmann viel Zeit, um mit unserer Zeitung über Erschöpfung, mentale Tricks und neue Ziele zu reden.
Boris Herrmann, mit etwas Abstand – wie schnell gewöhnt man sich nach 80 Tagen, zehn Stunden und 16 Minuten auf dem Meer wieder an das Land?
Die erste Woche nach der Vendée Globe in Frankreich läuft man einfach so im Geschehen mit. Das ist wie ein Film, der sich abspielt. Es gibt noch mal Briefings, Interviews, Dinner mit dem Team. Du kommst dann zu Hause an und bist erstmal zweieinhalb bis drei Wochen wie in einer Totenstarre (lacht). Netflix, Schokolade und Sofa – mehr geht nicht. Von der Schokolade habe ich gefühlt drei Kilo in der Woche gegessen. Erst nach einem Monat habe ich wieder mit der Arbeit im Büro angefangen. Seit März war das echt ein wilder Ritt. So eine Kampagnenplanung ist unheimlich intensiv. Neue Projekte, neue Sponsoren, ein neues Boot, die ganzen technischen Details …
Sie haben einmal gesagt, dass es ein Jahr dauern kann, ehe alle seelischen und körperlichen Erschöpfungserscheinungen nach einer Weltumseglung weg sind. Haben Sie ein Beispiel für die Erschöpfung?
Am Anfang war alles zu anstrengend. Selbst mit einem Freund nur 400 Meter entfernt Kaffee trinken gehen, das ging einfach nicht. Ich habe Freunden für ein Treffen abgesagt, bin sofort danach eingeschlafen und mit dem Handy in der Hand wieder aufgewacht. Zum Glück hatte ich ihnen noch gerade so vor dem Einschlafen abgesagt, sie haben also nicht gewartet (lacht). Dir fehlt komplett die Energie. Körper und Geist müssen sich wieder komplett neu einstellen. Auf der See hast du die permanente Intensität und keinen tiefen Schlaf. Du bist mit einem Ohr immer bei dem Boot. Der Körper gewöhnt sich an dieses hohe Stresslevel. Du bist in einem permanenten Rausch. Du sehnst dich auf der See auch danach: Jetzt einfach einmal abschalten können. Jetzt einmal nicht für dieses Boot verantwortlich sein. Einmal nicht an das Boot, den Wind, das Rennen denken. Wenn all das zu Ende ist, kann man sich wieder fallen lassen.
Sie haben berichtet, dass auch die Aufmerksamkeitsspanne nach einem solchen Abenteuer erst mal eingeschränkt sein kann.
Im Boot trainierst du deinen Körper und Geist darauf, Tag und Nacht wachsam zu sein. Der Fokus liegt aber komplett auf den unmittelbaren Themen – Wind, Wetter, Boot. Du hättest jetzt auf hoher See nicht den Fokus, um beispielsweise Vokabeln zu lernen (lacht). Man muss sich wieder daran gewöhnen, die geistige Intensität und den Fokus für mehrere Stunden aufrechtzuerhalten. Das ist nach der Vendée Globe erstmal weg.
Wie sehr hat es Ihnen geholfen, dass es ihre zweite Vendée Globe war?
Vor der ersten Vendée Globe war es im September plötzlich so, als hätte mich einer mit einem dicken Stock geschlagen. Oh Gott, jetzt geht es wirklich los. Was passiert jetzt alles? Ich konnte den Stress dieses Mal also schon antizipieren. Ich habe mich über vier Jahre wirklich gut gefühlt: Ich war beim Ocean Race, bin schon mal mit diesem Boot um die Welt gesegelt. Nach dem Motto: Komm nur her, Vendée Globe! Dann hatte ich einen überraschenden Rückfall. Plötzlich gab es eine Unsicherheit.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mir Unterstützung von zwei verschiedenen Mentaltrainern und einem Sportcoach geholt. Mit ihnen habe ich mich noch mal sechs Wochen intensiv persönlich und mental drauf vorbereitet. Beim ersten Mal hatte ich unterbewusst immer den Stress: Wenn jetzt etwas kaputt geht und ich ausscheide: Fällt unsere komplette Kampagne zusammen, ist meine Karriere dann vorbei? Ich habe mit einem Mindset-Coach daran gearbeitet, dass ich mein Nervensystem umstellen kann. Von Stress auf Ruhe und Regeneration. Da gibt es den Sympathikus und Parasympathikus im vegetativen Nervensystem. Normalerweise sollte man das schon jedem Kind in der Grundschule beibringen. Das tiefe Atmen in den Bauch, das lange Ausatmen durch den Mund. Wir haben auch mit Klopftechniken und Affirmationen gearbeitet. Das hat bei mir extrem gut funktioniert. Ich war deutlich gelassener.
Hat Ihnen das auch dabei geholfen, die Enttäuschung zu verarbeiten, als Sie den Expresszug verpasst haben und sich relativ früh vom Podium verabschieden mussten?
Ich hatte einen Tag, an dem ich wirklich einen großen Durchhänger hatte. Als der Expresszug abgefahren ist, war ich südlich von Kapstadt. Da ist am Boot auch noch der Einstellmechanismus für mein Foil kaputtgegangen. Das war ein Krisentag. Ansonsten gab es aber immer diese Gelassenheit. Ich konnte von meiner Erfahrung profitieren. Ich bin mal mit Francis Joyon bei der Jules Verne Trophy um die Welt gesegelt. Wir waren für eine längere Zeit ziemlich abgeschlagen hinter unserem Rekordziel. Aber dieser alte Seebär hat uns immer beruhigt, immer darauf hingewiesen, dass auf der See alles passieren kann. Einige Wochen später sind wir die schnellste Passage im indischen Ozean gesegelt und haben 800 Meilen aufgeholt. Daran muss ich immer zurückdenken. Als die ersten Plätze nicht mehr in Reichweite waren, habe ich mir die Top 5 als Ziel genommen. Da gab es lange noch einen Hoffnungsschimmer, ich war mental noch voll da. Das Rennen war dann eigentlich zu Ende, als in Brasilien das Gewitter eingeschlagen ist und das Foil kaputt war. Es hat sich aber nicht nach scheitern angefühlt. Es hat sich in dem Moment eher so angefühlt, als würde der ganze Druck ein wenig abfallen.
Die Malizia Seaexplorer wurde verkauft, das Ocean Race steht dieses Jahr noch an. Wie laufen die Planungen?
Das Ocean Race Europe wird unser letztes Rennen mit der Seaexplorer, nach der Saison wird das Boot dann übergeben. Wir studieren aktuell schon ganz intensiv, wie wir ein schnelleres Boot bauen. Das ist ein empirischer Sport. Mit der Seaexplorer sind wir sehr stark in eine Richtung gegangen. Jetzt gehen wir einen kleinen Schritt wieder zurück zum Mainstream. Wieder ein bisschen näher an das Design der Flotte. Beim Foil-Design sehen wir ziemlich viel Potenzial. Das Ocean Race wird dieses Jahr das große Highlight. Der Start in Kiel wird besonders. Daniel Günther wird mit mir über die Startlinie fahren und dann von Bord springen, das haben wir letztes Jahr schon verabredet (lacht).
INTERVIEW: NICO-M. SCHMITZ