Gefeierte Löwen-Helden: Pacult und Lorant (v.li.). © IMAGO
Der Macher des Löwenwunders: Werner Lorant. © Witters
Lorants Entdeckungen: Bernhard Winkler und Peter Pacult schossen 1860 nach oben. © Rauchensteiner
Der Durchmarsch ist perfekt: Löwen-Fans stürmen 1994 den Platz in Meppen, wo der TSV 1860 einen bis dahin einmaligen Coup eintütete. © imago
München – Frühlingsanfang im Löwen-Jahr 1994 – und eigentlich war die Chance auf den Durchmarsch schon fast verspielt. Eine Niederlage vor der Winterpause, vier danach, die fünfte am 19. März gegen Mainz 05 (mit einem gewissen Jürgen Klopp im Mittelfeld). Sturz auf den Aufstiegsrängen, Stimmung im Keller, Euphorie weg, Spieler ratlos.
Nicht so der Trainer. Werner Lorant macht in der Woche vor Hannover etwas, für das er nicht unbedingt bekannt ist: Er führt Einzelgespräche. „Man muss ihnen helfen“, sagte er in einem Rückblick des BR. „Muss mal ein persönliches Gespräch führen, in der Mannschaftssitzung drüber reden – so sind wir dann wieder ins Rollen gekommen.“ Am 26. März folgte der Befreiungsschlag. Mit 4:1 siegten die Löwen im Niedersachsenstadion, und einer sorgte wie so oft für die Beruhigungspille: Peter Pacult. Sololauf über links zum 2:0. Auf den Wiener war Verlass. Trotz seines fortgeschrittenen Alters verpasste der damals 34-Jährige in seiner ersten Saison nur ein Spiel. Eines von 38. Neun Treffer in der Hin-, neun in der Rückrunde. Kein Löwe hatte mehr Tore auf dem Konto, als am 11. Juni der Durchmarsch in Meppen amtlich war – auch der finale Siegtreffer natürlich von „Peter, dem Großen“.
Pacult – von Lorant gegen den Willen von Präsident Wildmoser durchgedrückt. Ein Spieler, der mit Leichtigkeit auf dem Platz das ergänzte, was der gestrenge Trainer mit seinem grenzenlosen Ehrgeiz vorlebte. „Werner hat mir die Chance gegeben, in einem hohen Alter noch mal einen Auslandstransfer zu machen“, sagte Pacult am Todestag seines Mentors zu unserer Zeitung: „Dass das dann so eine Erfolgsstory wurde – das hätte natürlich keiner gedacht. Er hat sich damals für mich entschieden – und gegen Markus Sailer (damals erst 25 und vom FC St. Pauli).“ Eine der vielen Bauchentscheidungen von Werner Beinhart. Lorants entscheidendes Argument an die Adresse von Skeptiker Wildmoser: „Er ist zwar alt, aber gut. Hol ihn einfach! Wer sonst soll uns in die Bundesliga schießen?“
Neben Bernhard Winkler natürlich, einer anderen Lorant-Entdeckung. Winkler hatte unter Lorant in Schweinfurt gespielt, war danach schon kurz davor, sich reamateurisieren zu lassen – nach einem Kurzgastspiel bei Fortuna Köln, „wo ich quasi rausgeflogen bin, weil ich mich nicht wohlgefühlt habe“. Winklers Gedanke: „Gut, ich hab‘s drei Jahre probiert. Profi klappt ned, gehe ich halt in meinen alten Job zurück.“ Das entscheidende Vertragsgespräch mit 1860, erinnert sich der Franke, sei „a weng holprig“ verlaufen: „Wildmoser wollte mich nicht und sagte ganz offen: Du bist nur da, weil er dich will.“ Auch Winkler steuerte zum Aufstieg eine zweistellige Trefferzahl bei (16).
Lorants besonderer Blick für Talente und Extrakönner – er war nicht nur entscheidend, um die Durchmarsch-Elf zu zimmern. Legendäre Anekdote aus dem Sommer 2000, als die Löwen ihren Kader für die Champions-League-Quali aufmotzten: Lorant flog mit Karl-Heinz Wildmoser jr. nach Glasgow, um einen Spieler zu beobachten. Viel Aufwand, damals ja noch alles Neuland für 1860. Und was macht Lorant? „Wir gehen“, brummte er schon nach wenigen Minuten. Auf den Hinweis des verdutzten Heinzi, dass ja noch nicht mal Halbzeit sei, erwiderte Lorant: „Egal. Ich hab gesehen, was ich sehen wollte. Den Pass vorhin – den spielt sonst keiner bei uns im Kader.“ Kurz darauf wurde Erik Mykland ein Löwe – und der Norweger zog in beiden Spielen gegen Leeds an der Seite von Häßler die Fäden.
Für Pacult steht fest, dass Lorant nur nach außen der paffende, pöbelnde Choleriker war. Vom Wiener, der später auch sein Co-Trainer wurde, erhält Lorant posthum die höchsten Weihen, die man als Fußballschaffender erreichen kann: „Beckenbauer war auch kein Trainer aus dem Lehrbuch. Er war lauter und strenger, aber mit einem klaren Fußballverstand. ,Bumm, was macht er jetzt?‘, hab ich mich oft gefragt, wenn er der Mannschaft taktische Aufgaben gegeben hat. Bei ihm kam ganz viel aus dem Bauch, ganz viel aus dem Instinkt heraus.“ Wie eben beim Franz, dem Original-Fußballkaiser.
ULI KELLNER