Leiden im Löwen-Trikot: Jens Jeremies, später zum FC Bayern gewechselt, verfluchte Lorant an manchen Tagen.
Werner Beinhart: Lorant kannte im Training nach Niederlagen kein Erbarmen, zum Leidwesen seiner Spieler. © Imago (2)
München – Als Werner Lorant zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Stadion an der Grünwalder Straße machte, erlebte er ein Desaster. Als Spieler von Borussia Dortmund kam er in Giesing am 27. November 1971 in seinem ersten Bundesligajahr mit 1:11 gegen den FC Bayern unter die Räder. „Ich war so was von sauer“, erzählte er viele Jahre später, „unter anderem auch, weil mein Mannschaftskollege Dieter Weinkauff nach seinem Treffer zum 1:6 wie ein Verrückter jubelte, so als hätte er gerade das Siegtor geschossen. Ich bin zu ihm hin und habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ihm eine knalle, wenn er nicht sofort damit aufhört.“
Auch die Schieds- und Linienrichter mussten vor Lorant immer wieder in Deckung gehen. Wie 1995 bei der 0:2-Niederlage in Bremen Georg Dardenne, dem der Löwen-Trainer hinterher über die Journalisten ausrichten ließ, dass „er froh sein kann, dass ich ihm keine geschmiert habe“. Dardenne hatte Bernd Trares vom Platz gestellt und einen zweifelhaften Handelfmeter gegen Sechzig gepfiffen. Während des Spiels hatte ihn Lorant deshalb als „Flasche“ beschimpft, woraufhin er auf die Tribüne geschickt wurde.
Lorants Attacken gegen die Unparteiischen geschahen aber durchaus auch aus Kalkül. Wie im Oktober 1999 in Leverkusen. Zwei Tore der Sechziger hatte der Linienrichter wegen Abseits weggewunken, jedes Mal lief Lorant wutentbrannt, sein Gesicht eine grauenvolle Fratze, auf den Assistenten zu und beschimpfte ihn aufs Übelste. Dann die letzte Minute: Winkler traf zum 1:1. Aus ganz klarer Abseitsposition. Die Fahne des Linienrichters blieb diesmal jedoch unten. „Siehste“, sagte Lorant hinterher verschmitzt, „der hatte nur noch Angst, dass ich ein drittes Mal bei ihm vorbeischaue.“
Vom DFB wurde er jedoch ein paar Wochen später für zwei Wochen gesperrt, unter anderem musste er das legendäre Lokalderby (1:0-Sieg durch das Tor von Thomas Riedl) von der Tribüne aus verfolgen.
Leiden mussten bei Lorant allerdings nicht nur die Unparteiischen, sondern wie hinlänglich bekannt auch die Spieler. In erster Linie dienten seine brutalen Trainingsmethoden natürlich der Fitness, hin und wieder aber auch als Strafe.
So wie an einem Sonntag im Winter 97/98. Das Trainingsgelände war im Tiefschnee versunken, und Lorant ließ die Mannschaft – weil sie tags zuvor verloren hatte – zwei Stunden lang große Runden drehen. Das tat weh! Die Spieler keuchten und stöhnten, vor allem wenn sie an den Kiebitzen und Journalisten vorbeikamen. Allen voran Jens Jeremies. „Diese Drecksau, dieses A…loch“, fluchte er. „Ich bring‘ ihn um!“
War dann aber doch keine Option. Irgendwann aber verständigte sich die Mannschaft darauf, dass man Präsident Karl-Heinz Wildmoser einschalten sollte, damit dieser auf Lorant einwirke, das Leiden der Spieler etwas erträglicher zu gestalten. Als Gesandter wurde Horst Heldt (Mitglied des Mannschaftsrats) ausgewählt. Der machte sich also auf in den dritten Stock in Wildmosers Büro und teilte ihm den Wunsch der Mannschaft mit. Der Löwen-Boss zündete sich erst mal eine Marlboro an, stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. Dann brummte er: „Wennst de jetz ned glei schleichst, dann fliagst fei do nunta!“ Womit Heldts diplomatische Laufbahn abrupt beendet war…
Im Herbst 1998 allerdings keimte in der Mannschaft Hoffnung auf. Die Bundestagswahl stand an, und Lorant posaunte laustark heraus, dass „ich auswandern werde, wenn Rot-Grün an die Macht kommt“. Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen damals sämtliche Spieler Gerhard Schröder & Co. gewählt haben, aber es half alles nichts. SPD und Grüne bildeten zwar die neue Regierung, doch Lorant blieb im Lande.
Er scheuchte die Mannschaft zwar noch bis in die Champions League Qualifikation (2000 gegen Leeds), aber ein Jahr später war Schluss.
Etwa die Hälfte des Kaders erschien nach einem 1:5 gegen die Bayern am nächsten Tag nicht zum Training. Dabei hatte es am 18. Oktober 2001 gar nicht geschneit…
Wildmoser hatte Lorant am frühen Vormittag die Entlassung mitgeteilt, und der stürmte wutentbrannt aus der Geschäftsstelle, stieg in seinen Wagen und brauste davon. Stundenlang war er für niemanden zu erreichen, gegen 14 Uhr erreichte ihn unsere Zeitung dann endlich am Handy. „Es gibt nix zu sagen“, knurrte er. Auf die Frage, wie seine Familie den Rauswurf aufgenommen habe, lieferte er die Schlagzeile des Tages: „Mein Sohn hat all seine Löwen-Trikots schon zerschnitten.“
Ein echter Lorant halt, der Kleine…
CLAUDIUS MAYER