Brennpunkt 3. Liga

von Redaktion

Fanexperte Lange: „Oktoberfest ist gefährlicher als Fußballstadion“

Eskalation: Vermummte Halle-Fans klettern Richtung Jena-Block. © IMAGO / Hähnel

Immer wieder die sanitären Anlagen: Zerstörte Toiletten sind inzwischen Alltag, hier im Grünwalder Stadion. © Privat

Wie an Silvester: Pyrotechnik bei den Münchner Löwen. © IMAGO / Fehrmann

München – Zerstörte Toiletten, beschmierte Züge und Gewalt auf den Tribünen: Immer wieder sorgt die deutsche Fußball-Fanszene in den vergangenen Monaten für Negativ-Schlagzeilen. Vor allem die 3. Liga entpuppt sich in dieser Spielzeit als Sorgenkind (s. Kasten). Auch der TSV 1860 bekleckert sich nicht mit Ruhm, so z. B. Ende März, als Löwen-Fans innerhalb von drei Tagen mit Massenschlägereien und Randalen im ICE negativ auf sich aufmerksam machten und auch am vergangenen Wochenende beim Auswärtsspiel in Rostock.

Was sich in den Köpfen der Fans abspielt, erforscht Dr. Harald Lange (57). Der Sportwissenschaftler gilt als Fachmann für deutsche Fan-Kultur. Eine Tendenz hin zu mehr Gewalt sieht er nicht: „Gemessen an der Vielzahl der Fans, die jedes Wochenende ins Stadion gehen, sind die auch jetzt beobachteten Gewaltvorfälle immer noch Einzelfälle. Daraus lässt sich noch keine Tendenz ableiten.“ Im Gespräch mit unserer Zeitung beantwortet Lange die wichtigsten Fragen.

■ Warum gibt es so viele Fälle in der 3. Liga?

Dass vor allem Fanszenen aus den unterklassigen deutschen Ligen, darunter auch 1860 München, immer wieder auffällig werden, führt Lange auf die jeweilige Fanarbeit zurück. Während insbesondere in der ersten Liga Fanarbeit, seitens der Vereine, seitens der Jugendsozialarbeit in der jeweiligen Stadt, immer besser funktioniert, müsse man in den Ligen darunter „noch ein größeres Augenmerk darauf legen“. Es gehe aber keineswegs um „den sportlichen Misserfolg. Das sind die Fans gewohnt und damit können sie umgehen“, so die Einschätzung des Experten.

■ Was ist der Grund für die Randale?

Zum Trend hin zur mutwilligen Zerstörung und Sachbeschädigung sagt Lange: „Viele einsame und gewaltbereite Fans ohne Zugehörigkeit finden kein anderes Ventil als die teils wahllose Zerstörung im Stadion.“ Es spielt also auch eine Rolle, dass sich diese Leute gerne gezielt die Fußballfanszenen aussuchen, um Frust abzulassen. „Fußball ist nicht nur Sport, sondern auch ein gesellschaftliches Ereignis“, so Langes Erklärungsansatz.

■ Woher kommt der Hang zu Sachbeschädigung?

„Fans, bei denen sich eine Wut, Aggressionspotenzial oder eine Frustration aufstaut, finden keinen anderen Weg, das alles abzulassen, außer die Toilettenanlage oder die Würstchenbude im Stadion, die sie dann auseinandernehmen“, so Lange. Auch deshalb wird die Anreise zum Stadion immer mehr zum Thema. Hier sind die Vereine nicht zuständig und da sei so eine Zugfahrt, „vor allem unter Alkoholeinfluss, der Ort, wo es immer öfter zu Eskalationen kommt“, erklärt der Fanexperte.

■ Ist der Stadionbesuch für Familien gefährlich?

Gleichwohl sei die Verlagerung vieler Konflikte vor das Stadion ein „klares Indiz dafür, dass zumindest die Trennung der verfeindeten Fanszenen im Stadion sehr erfolgreich ist. Die Polizei macht da immer bessere Arbeit“. Deshalb beruhigt Lange „normale“ Stadiongänger: „Das Stadion ist, wenn man die statistischen Werte betrachtet, immer noch einer der sichersten Orte, an denen man sein Wochenende verbringen kann. Es ist ungleich gefährlicher, auf das Oktoberfest zu gehen als in ein Fußballstadion.“

■ Wie beurteilt der DFB die Lage?

Lange ist sich sicher, dass die Einzelfälle in dieser Saison keine klar erkennbare Entwicklung hin zur eskalierenden Gewalt rund um Fußballspiele einleiten werden. Da ist sich der Forscher einig mit dem DFB, der zuletzt reklamierte: „Die Zahl der Strafverfahren im Umfeld von Fußballspielen sowie die Zahl der gewaltbereiten und -suchenden Personen sind seit Jahren konstant niedrig“. Die „signifikanten Einzelereignisse“ verurteile man jedoch scharf.


ELIAS EICHER, DAVID KORBER

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