Auffälliger Zahnschutz: Frederik Tiffels. © IMAGO
Der Eishockey-Doc: Fabian Blanke aus München. © IMAGO
München – Dr. Fabian Blanke, Spezialist für Knie, Schulter, Hüfte und Ellenbogen an der Schön Klinik in München-Harlaching, ist seit 2021 der Arzt der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft und bei der anstehenden WM im Einsatz. Er gibt einen Einblick in seine Arbeit.
Herr Dr. Blanke, mit welcher Fachrichtung passt man als Arzt zum Eishockey?
Im besten Fall wie bei mir die Orthopädie und Unfallchirurgie, weil man da die gängigen Verletzungsmuster betreuen und behandeln kann. Wir haben viele Kopfverletzungen, ob das nun Platzwunden oder Gehirnerschütterungen sind, an zweiter Stelle kommt das Knie. Bei einer WM sind bei anderen Ländern auch Internisten und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte dabei.
Sie sehen die Nationalspieler nicht das ganze Jahr. Kennen Sie trotzdem die jeweiligen medizinischen Vorgeschichten?
Wir haben ein komplettes Register über die Physiotherapeuten und Ärzte der DEL- und NHL-Mannschaften, bei jedem Nationalmannschafts-Lehrgang gibt es eine Übergabe, und ich spreche auch mit den Spielern. Ein gutes Beispiel ist unser Torhüter Mathias Niederberger, der von Red Bull München mit einer Verletzung kam, da haben wir Rücksprache gehalten mit deren Ärzteteam, haben uns das MRT angeschaut – und dann ist er bei uns ins Training eingestiegen. Man kennt die Spieler über die Jahre, wir haben ein Register über Vorerkrankungen, Medikationen und so genannte TUEs, das sind medizinische Ausnahmegenehmigungen bei Medikamenten, die auf der Dopingliste stehen.
In welchem Fitnesszustand sind Nationalspieler, die zu einer WM kommen: auf dem Fitness-Peak oder auf der letzten Rille unterwegs?
Es kommt darauf an, von welchem Team sie kommen. Ist es eines, das früh raus ist und sie sind ein, zwei Wochen in Urlaub gefahren bis zum ersten Camp der Nationalmannschaft, muss man etwas Gas geben mit dem Athletiktrainer. Und es gibt welche, die ohne Pause von den Playoffs kommen, nicht verletzt und in einem guten Zustand sind. Wir können über die Daten das Training auch individuell steuern.
Über welche Daten verfügen Sie?
GPS, Herzfrequenz. Die Spieler werden von der IIHF im Spiel getrackt, wir sehen, was sie laufen, fürs Training haben wir ein eigenes System, das uns eventuelle Erschöpfung anzeigt. Zudem erhalten wir Rückmeldung aus der Physiotherapie, ob eine Muskelverletzung im Kommen ist oder nicht.
Wie sieht Ihre Arbeit während des Spiels aus?
Das Besondere am Eishockey sind die Shifts. Wir sehen, wenn auf den Eis was passiert, kommen die Spieler zurück zur Bank, gibt es einen kurzen Blickkontakt und einen kurzen Austausch und danach den kurzen Blick zu Cheftrainer Harold Kreis und seinem Offence- oder Defence-Trainer, ob wir den Spieler mal einen Shift draußen lassen. Das ist eine dauernde Kommunikation. Harry erwartet, dass wir schnell und aufmerksam sind, denn wenn jemand rein soll und sich das Knie hält, kann er nicht rein, wenn er aufgerufen wird. Wenn wir das nicht mitgeteilt haben, kann das das Spiel beeinflussen.
Im Leistungssport gilt der Arzt bisweilen als natürlicher Feind des Trainers. Ist das bei Harold Kreis auch so?
Er ist extrem zugänglich. Er will, wissen, welcher Spieler was hat. Er will die fittesten Spieler auf dem Feld haben, die bereit sind, man muss als Arzt keine Hemmungen haben, in die Trainerkabine zu gehen und mit Harry zu reden.
Hilft eigentlich ein Zahnschutz, den viele Spieler tragen?
Er hilft auf jeden Fall. Der Zahnschutz wird bei Profis individuell angepasst, wir haben Daten, dass er Stöße abfängt. Das Gehirnerschütterungsrisiko wird gedämpft, man hat einen guten Schutz für Zähne, Kiefer, Lippen. Die obere Zahnreihe wird abgedeckt, die untere bleibt frei, man kann also gut atmen, kommunizieren. In unserer Mannschaft tragen bestimmt 80, 90 Prozent Zahnschutz. Einen Zahnunfall ohne Zahnschutz will man nicht haben auf dem Eis. Wenn ein Kiefer bricht, kann man einen Zahn womöglich auch nicht mehr replantieren. Prävention ist besser als Therapie.
Eishockeyspieler rühmen sich einer hohen Schmerztoleranz. Doch wie steht es um den Einsatz von Schmerzmitteln?
Unsere Regel ist: Medikamente werden nur vom Arzt ausgegeben. Ja, wir geben Schmerzmittel, manchmal gibt es Indikationen, in denen das okay ist, wenn man weiß, dass eine Struktur nicht gefährdet ist, aber weh tut. Wir gehen kein Risiko ein für den Spieler, man muss aber aufpassen, dass man das nicht verteilt wie Bonbons. Ich war auch in anderen Sportarten tätig und musss sagen: Der Bedarf im Eishockey ist nicht größer, die Schmerztoleranz aber schon höher als im Fußball oder Tennis. Eishockeyspieler werfen sich im Unterzahlspiel in Schüsse, kriegen Hartgummi mit 140 km/h auf Stellen, die auch mal ungeschützt sind, sie bekommen auf der Bank zwei Minuten Kompressionen und Eis und gehen danach wieder aufs Spielfeld.
INTERVIEW: GÜNTER KLEIN