Herning/München – Tim Stützle, der deutsche NHL-Star, sah nach dem ersten Drittel schon nicht gut aus. Auf seinem Kinn verklebte ein Pflaster den ersten Cut, den ihm die Schweizer beigebracht hatten – und den Hals hinab rann das Blut von der zweiten Rissrunde, die er aus einem gegnerischen Check davongetragen hatte. Doch das war alles zu verschmerzen, weil es 0:0 stand und die deutsche Mannschaft gut im Spiel war. Zwanzig Minuten später wirkte das gesamte Team demoliert. Nach einem defensiv desaströsen Drittel, das 0:4 verloren ging, war das vierte Gruppenspiel bei der Eishockey-WM in dänischen Herning nicht mehr zu gewinnen. Am Ende wurde eine 1:5 (0:0, 0:4, 1:1)-Niederlage im WM-Derby (das Spiel gab es zum 31. Mal) aufs deutsche Konto geschrieben. Die drei Partien zuvor hatte die Truppe von Bundestrainer Harold Kreis (allerdings gegen die in der Weltrangliste schlechter platzierten Ungarn, Kasachstan und Dänemark) gewonnen. Den einzigen Treffer gegen die Schweiz erzielte Marc Michaelis (Mannheim/59.).
Kreis hatte Umstellungen vorgenommen. Vornehmen müssen, weil Lukas Reichel mit Schulterverletzung aus dem Norwegen-Match bis Turnierende ausfällt und bereits abreiste. Für ihn rückte der DEL-Spieler des Jahres, der Berliner Leo Pföderl, zurück ins Line-Up. Als 13. Stürmer war Manuel Wiederer, ebenfalls aus Berlin, mit dabei, in der Abwehr ließ Kreis dafür den Ingolstädter Leon Hüttl weg. Im Tor kam wieder der Münchner Mathias Niederberger zum Zug. In sein zweites WM-Spiel ging er mit 95 Prozent Fangquote – diese Statistik zerbröselte ihm unter Fang- und Stockhandschuh.
„Es geht rauf und runter“, sagte der künftige Münchner Verteidiger Fabio Wagner (Ingolstadt) schwitzend und schwer atmend nach dem ersten Durchgang. Er selbst hatte zwei Torchancen, scheiterte knapp, mahnte aber „besseres Puckmanagement“ an. Doch ab der 25. Minute rächten sich die kleinsten Fehler, es lief alles gegen die Deutschen: Damian Riat und Sven Andrighetto aus spitzem Winkel trafen binnen 74 Sekunden zur Schweizer 2:0-Führung, das 3:0 war ein Schuss von Andrighetto über Niederbergers Schulter (34.), derselbe Schütze legte noch das 4:0 nach (35.). Ein weiteres Tor (Fora/28.) wurde nach erfolgreicher deutscher Coaches‘ Challenge zurückgenommen, es war ein Abseitsspiel vorausgegangen.
Ein weiteres Mal wurde Torhüter Niederberger zum Opfer von Sven Andrighetto. Der 32-jährige spielte mal in der NHL – ohne allerdings besondere Bilanzen aufweisen zu können. Seit ein paar Jahren ist er bei den Zürcher SC Lions unter Vertrag, diese Saison gewann er mit ihnen die Champions League. Das 5:0 (49.) gelang ihm im Powerplay. Selten, dass ein einzelner Spieler mit vier Torerfolgen so hell strahlt.
Was war mit Tim Stützle? Der Jungstar aus Ottawa war noch einer der Auffälligsten im DEB-Team, er hatte die besten Torszenen, schaffte es allerdings nicht, den Schweizer Torwart-Routinier Leonardo Genoni zu überwinden. Schwach für seine Verhältnisse spielte Kapitän Moritz Seider. Bei ihm begannen die Fehler schon mit einem Scheibenverlust in der 2. Minute. Es gibt Aufbearbeitungsbedarf bei der eigentlich stark besetzten deutschen Mannschaft. Bis zum nächsten Spiel am Samstag (12.20 Uhr) gegen die USA sollte sie sich sammeln.
GÜNTER KLEIN