Der Abschied: Geschke nach dem letzten Rennen. © IMAGO
„Einen wie ihn gibt es nur einmal in 50 Jahren“: Geschke mit Superstar Tadej Pogacar. © IMAGO/Vincent Kalut
Die größte Hoffnung: Florian Lipowitz traut Geschke aus deutscher Sicht am ehesten starke Rundfahrten zu. Seinen Rennstall sieht er eher kritisch. © IMAGO
München – Im Herbst war für Simon Geschke nach 16 Jahren als Radprofi Schluss. Doch der Szene ist der 39-Jährige noch immer eng verbunden. Und vor allem auf den deutschen Radsport schaut der Eurosport-Experte nachdenklich.
Die Radsport-Highlights nehmen Fahrt auf. Kribbelt es noch?
Ja, schon. Ich genieße es sehr, zu Hause zu sein. Aber es fühlt sich schon noch sehr komisch an. Bei mir ist ja auch alles noch so frisch, dass ich mir zutrauen würde, mit dem entsprechenden Training bei den großen Rennen am Start zu stehen.
Zurzeit läuft der Giro, die erste große Rundfahrt nach Ihrem Rücktritt…
Ja, ich bin gespannt. Mal sehen, wie es diesmal ist mit Etappen im Schnee. Letztes Jahr war das ja ein großes Thema, wie viel den Fahrern zugemutet werden darf. In der letzten Woche hat man fünf Bergetappen. Ich freue mich darauf, es wird ein offenes Rennen. Ok, die ganz Großen sind nicht da, Pogacar, Vingegaard, auch Evenepoel nicht.
Mit dem Projekt One Cycling sollen die Großen mit saudischen Millionen zusammengebracht werden. Eine gute Sache?
Ach, da gab es ja immer wieder mal Versuche. Wie die Hammer Series, die wie eine andere Liga gegründet werden sollte. Aber so richtig hat sich das nicht durchgesetzt. Der Radsport ist so vielschichtig, jemand wie Pogacar fährt auch die Eintagesrennen. Der hat einen ganz anderen Rennkalender als etwa Vingegaard.
Welche Belastung ist denn realistisch?
Da gibt es keine Blaupause. Ich war im letzten Jahr mit 85 Renntagen sicher einer der Fahrer, die sehr oft im Einsatz waren. Pogacar hatte nicht so viele Renntage, dafür aber zwei Grand Tours. Und war von Anfang bis Ende in Topform. Das geht aber natürlich nur, wenn die Pausen lange genug sind.
Jens Voigt sagte einmal, Talente wie Tadej Pogacar gibt es nur einmal in zehn Jahren. Jetzt gibt es auch Jonas Vingegaard oder Remco Evenepoel…
Wobei ich Pogacar in einer eigenen Kategorie sehe. Der gewinnt ja sogar in Flandern. So etwas gibt es nur alle 50 Jahre. Im modernen Radsport hat es einen wie ihn noch nie gegeben. In der gesamten Geschichte fällt mir nur Eddy Merckx ein, der so komplett war.
Was hat er, was andere nicht haben?
Ich weiß gar nicht, ob das nur Supertalent ist. Ich weiß, dass er auch extrem hart trainiert. Du merkst bei ihm, dass er auch im Urlaub sehr diszipliniert ist, nicht viel Alkohol trinkt. Andere lassen sich viel mehr gehen. Er ist ein Riesentalent, mit einem Riesenhunger. Wobei es da nicht nur darum geht, was er aufs Pedal bringt. Er hat auch die Gabe, immer an der richtigen Position zu sein, wenn die Post abgeht.
Ist dieser Renninstinkt einer der zentralen Punkte, der ihn von Landsmann und Giro-Favorit Primoz Roglic unterscheidet, der bei großen Rennen auffällig oft stürzt?
Naja, Stürze haben nicht immer mit der Position zu tun. Roglic hatte einige Male auch Pech. Aber es waren halt oft auch Fahrfehler und Nervosität. Pogacar siehst du superwenig stürzen. Bei Roglic ist es schon sehr auffällig.
Nun ist er der Frontmann des deutschen Top-Teams, das um die großen Siege mitfahren will. Eine gute Entwicklung?
Na ja, deutsches Team… was mich bei Red Bull-Bora ein bisschen stört, ist dass die guten deutschen Fahrer alle weg gegangen sind. Lennard Kämna, Nils Politt, jetzt zuletzt Schachmann, Buchmann, früher Ackermann. Die hätten ein richtig schlagkräftiges Team mit den besten Deutschen haben können. Jetzt haben sie noch Lipowitz, der aus Rundfahrersicht die größte deutsche Hoffnung ist.
Sie waren ja 2022 mit neun Tagen im Bergtrikot der Tour de France einer der letzten Deutschen, die für Aufsehen im Land gesorgt haben. Wem würden Sie denn Vergleichbares zutrauen?
Es gibt schon einige starke Fahrer. Aber so einen richtigen Weltklassefahrer, der bei den großen Rennen um Siege mitfährt, haben wir nicht. Einen Toursieger sehe ich gerade nicht. Wobei es eigentlich erstaunlich ist, wie viele gute deutsche Fahrer es gibt.
Warum?
Wenn man sieht, wie viel für den Radsport getan wird. Es gibt kaum Rennen. Jeder, der ein Rennen organisieren will, kämpft gegen Behörden, Anwohner, für Straßensperrungen… das ist für den Nachwuchs natürlich schlecht. Mir hat mal jemand von der ASO (Ausrichter u.a. der Tour de France) gesagt, es sei nirgends so schwierig wie in Deutschland.
Woran liegt das?
Die meisten Städte wollen alles außerhalb stattfinden lassen. Weil es sonst Ärger mit den Anwohnern gibt, die sonntags nicht mehr mit dem Auto zum Bäcker fahren können. Aber man will ja mit dem Rennen zu den Leuten und nicht umgekehrt, irgendwo in ein Möbelhaus. Aber gut …. Radsport hat in Deutschland halt auch keine Kultur. Und welche Sportart außer Fußball hat bei uns denn wirklich eine Bühne? Im Radsport äußert sich das vor allem im Nachwuchsbereich. Ich mache mir schon Sorgen, was in zehn Jahren passiert. Die Generation des Jan-Ullrich-Booms hört jetzt ja langsam auf. So wie ich.
Könnte es eine Aufgabe für Sie sein, an der Zukunft mitzuarbeiten?
Das könnte schon sein. Wobei ich dieses Jahr erst einmal noch bei einigem Rennen bin. Zum Beispiel nächste Woche als Experte (für Eurosport, d. Red.) beim Giro. Aber jetzt hat erst mal meine Familie Priorität. Ansonsten bin ich schon seit letztem Jahr an einer Firma beteiligt, die sich auf Höhentraining spezialisiert hat. Ich arbeite mit einem Hotel zusammen, in dem man in Zimmern komplettes Höhentraining anbieten kann, ohne großen Reiseaufwand. Das ist alles sehr spannend.
INTERVIEW: PATRICK REICHELT