Manchesters Trainer Ruben Amorim.
Casemiro im Ligaspiel gegen Finalgegner Tottenham Hotspur. © IMAGO
Bessere Zeiten: United 2013 bei der Busparade nach der bisher letzten Meisterschaft. © Imago
Manchester – Sollte Manchester United heute im Europa-League-Finale gegen Tottenham Hotspur (21 Uhr, RTL live) tatsächlich als Gewinner vom Platz gehen, wird der zweitwichtigste Clubpokal des Kontinents nicht auf einem offenen Doppeldeckerbus durch Manchester gefahren. Stattdessen plant der englische Traditionsclub eine… Grillparty. Kein Witz. Im Trainingszentrum in Carrington, zwischen Hütchen und Würstchen, sollen Spieler und Mitarbeiter ihren möglichen Titelgewinn feiern. Bierbank statt Schampusglas. Willkommen in der neuen Ära von Manchester United, wo selbst der Ruhm auf Sparflamme serviert wird.
Die skurrile Szenerie rund um die „Red Devils“ ist ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Lage des Vereins. Seit der Teilübernahme durch INEOS-Boss Sir Jim Ratcliffe werden bei United die Sparmaßnahmen mit Akribie durchgesetzt. Die kostenlose Mitarbeiterkantine? Geschlossen – ersetzt durch ein Stück Obst pro Tag. Ein Apfel am Tag hält zwar bekanntlich den Arzt fern, aber vermutlich nicht die Frustration langjähriger Mitarbeiter, denen – nach 250 bereits erfolgten – weitere 200 Kündigungen drohen.
Auch das Europa-League-Finale in Bilbao steht unter dem Motto „Klotzen war gestern“. Spieler erhalten zwei Gratistickets für das Spiel, werden für weitere Karten aber zur Kasse gebeten. Freunde und Familienangehörige? Dürfen kommen – aber bitte auf eigene Kosten und mit selbst organisierter Anreise. Selbst Cheftrainer Ruben Amorim sah sich gezwungen, für 30 Mitglieder seines erweiterten Betreuerstabs Tickets für ihre Familien aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Während Paris Saint-Germain 600 Mitarbeiter kostenfrei zum Champions-League-Finale einlädt, greift Amorim privat zur Geldbörse, um seinem Team Dankbarkeit zu zeigen. Eine noble Geste inmitten des Knauserkurses.
Ein weiterer Grund, warum sich bei United niemand über einen Europa-League-Triumph allzu enthusiastisch zeigt: Der Titelgewinn würde den Club paradoxerweise finanziell eher be- als entlasten. Der Pokal ist nämlich gleichzeitig Ticket für die Königsklasse – und mit diesem wiederum kommt ein ganzer Rattenschwanz an vertraglich geregelten Gehaltserhöhungen auf ManU zu. So würde etwa Mittelfeldspieler Casemiro bei einer CL-Qualifikation von einer Aufstockung von satten 25 Prozent profitieren, also rund 100 000 Pfund mehr pro Woche. Nicht irrelevant für einen Club, der über 300 Millionen Pfund (ca. 350 Millionen Euro) Verlust in drei Jahren angehäuft hat.
Ein EL-Triumph als Pyrrhussieg also? Zumindest finanziell scheint er das zu sein. Und auch logistisch würde eine Siegesparade kaum ins ohnehin vollgestopfte Programm passen. Zwischen dem Finale in Bilbao und dem letzten Premier-League-Spiel gegen Aston Villa am Sonntag bleibt kaum Zeit zum Durchatmen. Danach folgt eine Asienreise mit Freundschaftsspielen, gefolgt vom Einsatz zahlreicher Nationalspieler bei Turnieren in Europa und Südamerika. Dass United zuletzt 2013 eine Pokalparade abhielt – zum Abschied von Sir Alex Ferguson – wirkt angesichts der aktuellen Planung fast wie eine ferne Erinnerung an bessere Zeiten.
Vielleicht ist das Grillfest in Carrington also doch der passendere Ort für eine Mannschaft, die eine Saison der Widersprüche erlebt hat: sportlich desaströs in der Premier League, hinter den Kulissen sparsam wie ein Viertligist – am Ende aber vielleicht trotzdem europäischer Titelträger. Darauf erst mal ’ne Grillwurst!
JOSÉ CARLOS MENZEL LÓPEZ