Schnell wieder runter: Hojak und Brugger beim Abstieg vom Mönch.
Nicolas Hojac und Philipp Brugger, nachdem sie die Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau durchstiegen haben.
Keiner rennt schneller als Nicolas Hojac die senkrechten Wände in den Alpen hoch. Der Schweizer brauchte mit seinem Seilpartner Philipp Brugger für die Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau lediglich 15,5 Stunden – selbst ambitionierte Hobby-Alpinisten benötigen dafür fast eine Woche.
Herr Hojac, warum werden die Nordwände eigentlich immer als das „letzte Problem in den Alpen“ bezeichnet?
Weil sie schattig, steil, kalt, eisig und schwierig sind. Reicht das? (lacht). Im Ernst: Die Südwände sind Genuss: Der Schnee ist weich, die Sonne scheint. Bei den großen Nordwänden – Eiger, Grandes Jorasses, Matterhorn, Petit Dru, Piz Badile und der Großen Zinne – liegt auch im Hochsommer Schnee, sie sind oft noch vereist. Unter normalen Umständen würde ich mich dort also keinesfalls aufhalten (grinst).
Das „Alpine Journal“ schrieb in den 30er-Jahren, das Klettern an der Eiger Nordwand sei eine „Obsession für Geistesgestörte“. Was sagen Sie dazu?
Früher mag das für Alpinisten, die keine Wetter-Apps oder Ähnliches hatten, zutreffend gewesen sein. Weil sie mehrere Tage an der Wand verbringen mussten. Das heißt: Sie kraxeln in der Wand, schlafen in der Wand, gehen in der Wand aufs Klo. Wenn ich das heute mache, bin ich in wenigen Stunden durch. Je kürzer ich in einer exponierten Lage bin, desto niedriger ist die Chance, dass mir etwas passieren kann.
Sie und Ihr Seilpartner sind wirklich wie ein Sondereinsatzkommando hochgestürmt. Waren Sie eigentlich die ganze Zeit über in den drei Wänden angeseilt?
Nein, sonst hätten wir das zeitlich nicht geschafft. Ich kann es nicht genau sagen, würde aber mal behaupten, dass wir gut die Hälfte der Zeit am Seil gingen. Wichtig war es uns auf jeden Fall, dass wir sicher durch die heiklen Stellen wie Schwieriger Riss, Bügeleisen oder Wasserfallkamin kommen.
Was haben Sie bei der Speed-Begehung eigentlich gegessen?
Jede Stunde habe ich ein, zwei Gels zu mir genommen, gegen den Hunger Haribos. Die Gummibärchen sorgen einfach dafür, dass man ein kleines Sättigungsgefühl hat. Und beim Jungfraujoch, der höchsten Bahnstation Europas, haben wir uns Pommes gegönnt.
Echt jetzt?
Ja, mit Ketchup. Ich will ehrlich sein: Es waren nur ein paar Pommes, mehr kann man nicht zu sich nehmen. Das war schon eine skurrile Situation. Die Touristen um uns herum kaufen sündhaft teure Uhren oder Kuhglocken – und wir stopfen uns Pommes rein. Die Gunst der Stunde mussten wir einfach nutzen, schließlich gibt es immer nur ein, zwei Tage im Jahr, an denen die Bedingungen so top sind.
Was ist bei der Findung, welcher Tag der Richtige ist, für Sie wichtig?
Drei Dinge: Erstens darf kein Neuschnee liegen. Zweitens muss die Wand gespurt sein. Wenn wir uns wie beim letzten Versuch erst einen Weg durch den hüfthohen Schnee bahnen müssen, schaffen wir das nicht in Rekordzeit. Last but not least: kein Wind. Geht dort oben ein starker Sturm, kühlen wir erst aus, dann gehen uns die Lichter aus.
Ihr ehemaliger Seilpartner Ueli Steck ist 2017 tödlich verunglückt. Steck konnte bei etlichen Besteigungen nicht beweisen, dass er es geschafft hat – aus der Szene kam Kritik.
Sie sagen es ja selbst: „Kritik aus der Bergsteiger-Szene.“ Ich bin bis heute felsenfest davon überzeugt, dass Ueli alles, was er angegeben hat, auch geschafft hat. Kein Mensch ist so mit Steigeisen die Berge hochgerannt – bis er kam. Er hatte ja nie Zeit. An dem Morgen, als wir den Seilschafts-Speedrekord an der Eiger Nordwand aufstellten, sagte er zu mir ganz nebenbei: „Du, Nicolas, wir dürfen heute wirklich keine Zeit vertrödeln. Um 18 Uhr habe ich noch eine Sitzung in Bern.“ Er meinte es tatsächlich ernst.
Gefahr bleibt aber – das Bergsteigen kann Beziehungen und Familien zerstören.
Natürlich ist es für Tanja, meine Partnerin, nicht einfach. Früher hatte sie meinen Standort live via Rega-App anschauen können. Allerdings war es doch oft sehr ungenau. Da kam es vor, dass der GPS-Punkt nach unten rutschte. Für sie war das schlimm, weil sie dachte, ich wäre abgestürzt. Das will sie nicht mehr.
Und wie geht es Ihnen nachts in der Nordwand so? Angst?
Respekt ja, Angst nein. Angst ist beim Bergsteigen kein guter Ratgeber. Ich bin der Meinung, dass derjenige, der Angst hat, einen Schritt zu weit gegangen ist.
Und was ist für Sie eine Niederlage?
Die einzige Niederlage als Bergsteiger ist, wenn man von einer Expedition nicht lebend zurückkehrt. Das ist wirklich das einzige, was ich nie möchte: im Sarg zurückkommen.
INTERVIEW:
ANDREAS HASLAUER